Das Lied der schwarzen Berge
Tal, die Bauern saßen auf den Dächern ihrer Hütten und beschwerten sie mit dicken Felsbrocken, an den Baustellen kämpften die Arbeiter verzweifelt um die schwankenden Holzverschalungen, die im rasenden Wind schwankten wie Korn unter der Sense.
Gegen Morgen brach eine der Baracken zusammen. Ein Windstoß hatte sie von den Verankerungen gerissen. Die Wände knickten ein wie ein Kartenhaus; Betten, Anzüge, Wäsche und Decken wirbelten durch das Lager.
Zum erstenmal seit sieben Monaten gellten die Einsatzsirenen und Katastrophenhörner. Tausend Arbeiter und Soldaten, Bauern und Frauen kämpften gegen den Sturm um die Erhaltung des Werkes … mit Stahltrossen wurden die Wandverschalungen zusammengehalten, fahrbare Pfeiler stützten die Gußbrücken, ein Kommando der Italiener rückte in den Wald und riß und sprengte mitten im Sturm die angeknickten Bäume um, deren mächtige Stämme bei einem Fall die halbfertige Betonmauer verletzen konnten. Bonelli rannte um seine Kantine herum und schrie nach Hilfskräften. »Meine Kantine fliegt weg!« jammerte er. »Hilfe! Hilfe! Hier hin!« Vier Soldaten blieben stehen und sahen ihn an.
»Los!« schrie einer. »Zieh die Jacke an! Zum Damm! Sofort!«
»Meine Kantine!« schrie Bonelli zurück.
»Deine Kantine kann uns …« Einer trat ihn in den Hintern, und Bonelli sauste durch die Dunkelheit dem Tal entgegen. Ehe er wußte, wie ihm geschah, hatte er ein Drahtseil zwischen den Händen und war dabei, einen Baumstamm den Hang hinabzuziehen. Raupenschlepper ratterten an ihm vorbei, Planierraupen schoben Erdwälle vor sich her, um einen Schutzwall gegen die den Berg hinabrollenden Stämme zu schaffen.
Bonelli ließ das Drahtseil fahren und begann zu zittern. Der Anblick des um ihn herum entfesselten Infernos ließ ihn vor Angst schlottern. »Laßt mich weg!« schrie er grell. »Ich muß zu meiner Kantine! Ich bin Bonelli, der Kantinenwirt!« Er wollte den Hang hinablaufen, aber einige Fäuste hielten ihn fest, er fühlte wieder einen Tritt und stolperte vorwärts. »Anfassen!« brüllte ihm einer ins Ohr. »Und wenn du der Kaiser von Siam bist – anfassen, du Rindvieh!«
Er zog wimmernd vor Angst die Baumstämme durch den Sturm, ein losgerissener Ast schlug gegen seinen Kopf und gegen das rechte Auge.
»Mein Auge!« wimmerte Bonelli. »Oh, mein Auge!« Er drückte beide Hände gegen den Kopf und schwankte. Die Härte des Schicksals übermannte ihn. Nachdem er seine Augen vor der Faust Josefs gerettet hatte, war es ein Ast, der ihm das rechte blau schlug. Das erschütterte ihn maßlos … er setzte sich mitten im Sturm auf die Erde und schrie eine Tirade bester und edelster neapolitanischer Flüche in die Nacht.
Ralf Meerholdt stand oben am Rand des Talkessels und leitete die Arbeiten. Die Flutlichtscheinwerfer schwankten im Sturm und beleuchteten grell das Gewimmel der Menschenleiber zwischen den Gerüsten, Maschinen und Kränen. Das Heulen des Sturmes wurde in dem engen Tal noch verstärkt. Es wirkte wie ein großer Trichter, der den Schall zu einem einzigen Aufschrei konzentrierte. Ein Aufschrei der Natur, die ihre Kräfte mit den Menschen maß.
Gegen Morgen warf der Wind eine Steinlawine auf das Dorf … sie donnerte am Ausgang des Zabaritales herunter und versperrte die Straße nach Foca. Dann war es plötzlich still, ganz still … so unheimlich lautlos, daß die tausend Menschen stehenblieben, wo sie standen und verblüfft in den Himmel starrten. Jetzt kommt das Ende, empfanden sie. Jetzt folgt der Untergang der Welt in einem einzigen, gewaltigen Aufschrei der Natur.
Und die Welt ging unter … sie starb in herrlicher Schönheit.
Wie eine Schleuse bricht und Wassermassen das Land ertränken, so öffnete sich der Himmel, und lautlos, fast feierlich, fiel der Schnee auf das Tal.
Es schneite den ganzen Morgen hindurch … den ganzen Tag, die Nacht … und wieder den Tag … Es schneite eine Woche lang, still, lautlos, mit dicken, flaumigen Flocken. Die Wälder wurden ein weißes Gebirge, aus dem die schwarzen Felsen hervorstachen wie tote Stämme eines abgebrannten Waldes, wie Grabplatten über einer gestorbenen Landschaft. Die Hütten der Bauern versanken im Schnee … wie in Rußland verklebten sie die Fenster mit Papierstreifen und schliefen auf und um den gemauerten Ofen. Das Vieh in den Ställen kroch zusammen und wärmte sich. In den Nächten heulten die Hunde … die ersten Wölfe umstrichen das Dorf, hungrig, noch scheu vor den Menschen … aber am Morgen
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