Das Lied der Sirenen
öffnen? An diesem Psychologie-Zeug schien tatsächlich etwas dran zu sein. Brandon tröstete sich damit, daß er dabei war, dieses Etwas in den Dienst der Justiz einzuspannen. »Was sagen Sie dazu?« fragte er.
»Wann soll ich anfangen?«
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Auf 3 ½-Zoll-Diskette, Beschriftung: Backup. 007 ;
Datei Love 002 .doc
Schon beim ersten Mal hatte ich den Ablauf sorgfältiger geplant als ein Theaterregisseur die Inszenierung eines neuen Stücks. Im Geist stellte ich mir das bevorstehende Erlebnis vor, bis es, wenn ich die Augen schloß, zu einem hellen und glänzenden Traum wurde. Ich überprüfte wieder und wieder die Choreographie jedes einzelnen Schritts, vergewisserte mich, daß ich kein wichtiges Detail übersehen hatte, welches meine Freiheit gefährden konnte. Wenn ich heute daran zurückdenke, erinnere ich mich, daß der mentale Film, den ich abspulte, mir fast so viel Spaß machte wie die Ausführung des Akts selbst.
Als erstes galt es, einen Ort zu finden, an den ich mein Opfer gefahrlos bringen, an dem ich unser ganz privates Beisammensein genießen konnte. Meine Wohnung schloß ich von vornherein aus. Sie hat eine schlechte Geräuschdämmung: ich kann die lautstarken Streitereien meiner Nachbarn, das Bellen ihres hysterischen Schäferhunds und das aufreizende Dröhnen der Bässe ihrer Stereoanlage hören. Ich hatte nicht die Absicht, sie an meiner Apotheose teilnehmen zu lassen. Außerdem gibt es in den Reihenhäusern meiner Straße zu viele Durch-den-Vorhang-Gucker. Ich wollte keine Zeugen bei Adams Ankunft oder seinem Verschwinden haben.
Ich überlegte auch, eine alleinstehende Garage zu mieten, verwarf dann den Gedanken jedoch aus denselben Gründen. Darüber hinaus kam mir das irgendwie zu schäbig vor, zu sehr als Klischee aus der Welt des Fernsehens und des Films. Ich wollte einen Ort haben, der meinem Vorhaben angemessen war. Dann fiel mir Tante Doris, eine Tante meiner Mutter, ein. Doris und ihr Mann Harry waren Schaffarmer im Hochmoor über Bradfield. Vor etwa vier Jahren starb Harry. Doris versuchte noch eine Weile, die Farm weiterzuführen, aber als ihr Sohn Ken sie im vergangenen Jahr zu einem ausgedehnten Urlaub im Kreis seiner Familie in Neuseeland eingeladen hatte, verkaufte sie die Schafe und packte ihre Sachen. Ken hatte mir zu Weihnachten geschrieben und berichtet, seine Mutter habe einen leichten Herzanfall erlitten und würde wohl in absehbarer Zeit nicht nach England zurückkehren.
Eines Abends nutzte ich eine Flaute in meiner Arbeit und rief Ken an. Er klang zunächst überrascht, von mir zu hören, und murmelte dann: »Ich nehme an, du benutzt dein dienstliches Telefon.«
»Ich hatte schon seit langem vor, dich mal anzurufen«, sagte ich. »Ich wollte mich erkundigen, wie es Tante Doris geht.« Es ist sehr viel einfacher, via Satellit fürsorglich zu klingen als im direkten Gespräch. Ich bemühte mich, die jeweils angemessenen Laute von mir zu geben, als Ken sich lang und breit über den Gesundheitszustand seiner Mutter und das Ergehen seiner Frau, seiner drei Kinder und seiner Schafe äußerte.
Nach zehn Minuten meinte ich, daß es nun genug sei. »Da ist noch eine andere Sache, Ken. Ich mache mir Gedanken über euer Haus«, log ich. »Es liegt so einsam da oben, jemand sollte ein Auge darauf haben.«
»Da hast du recht«, sagte er. »Ihr Anwalt soll das machen, aber ich nehme nicht an, daß er sich bisher darum gekümmert hat.«
»Möchtest du, daß ich hin und wieder hochfahre und nachsehe, ob alles in Ordnung ist?«
»Würdest du das tun? Es wäre natürlich eine große Erleichterung für mich, das brauche ich dir ja wohl nicht zu sagen. Ganz unter uns, ich glaube nicht, daß Mum jemals wieder gesund genug wird, um in ihr Haus zurückzukehren, aber mir gefällt der Gedanke nicht, daß der Stammsitz unserer Familie verkommt«, sagte Ken eifrig.
Dir gefällt eher der Gedanke nicht, daß dein Erbe verkommt, dachte ich. Ich kannte Ken. Zehn Tage später hatte ich die Schlüssel zum Haus in Händen. An meinem nächsten freien Tag fuhr ich hin, um mich von der Richtigkeit meiner Erinnerungen zu überzeugen. Der Feldweg, der zur Start Hill Farm führt, war weit mehr von Gras überwachsen als bei meinem letzten Besuch, und mein geländegängiger Jeep mußte sich anstrengen, die drei Meilen lange Steigung von der einspurigen Straße im Tal bis zur Farm zu bewältigen. Zehn Meter vor dem düsteren kleinen Cottage hielt ich an, stellte den Motor ab und blieb etwa fünf Minuten
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