Das Lied der Sirenen
direkt ins Haus, nicht in einen Windfang. Im Erdgeschoß hätte es nicht normaler aussehen können. Das kleine Wohnzimmer war mit nicht sehr wertvollen, aber bequemen Möbeln ausgestattet. Es gab ein Sofa in moosgrünem Bezug und dazu passende Stühle, ein Fernsehgerät, einen Videorecorder, eine nicht allzu teure Stereoanlage und einen Couchtisch, auf dem ein Exemplar von
Elle
lag. Zwei gerahmte Poster mit der Darstellung von Walen im Ozean hingen an den Wänden. Im einzigen Bücherregal standen eine Sammlung von Science-fiction-Klassikern, einige Romane von Stephen King und drei Bände von Jackie Collins’ Schockern. Carol, Merrick und Brandon gingen vorsichtig durch das Zimmer, dann an der Treppe vorbei in die Küche. Sie war klinisch sauber wie ein Ausstellungsraum, selbst die Arbeitsplatte war sauber abgewischt und leer. Auf dem Abtropfbrett über dem Spülbecken lagen ein Becher, ein Teller, eine Gabel und ein Messer.
Sie gingen, Brandon voraus, die schmale Treppe zwischen den beiden Erdgeschoßräumen hinauf. Das Schlafzimmer zur Straßenseite war in einem Rosa gehalten, das an einen schäumenden Erdbeer-Milchshake erinnerte. Selbst die nierenförmige Frisierkommode war rosa unter der Spitzendecke. »Barbara Cartland, ach du meine Güte!« murmelte Merrick. Brandon öffnete den Kleiderschrank und schaute sich die darin hängenden Frauenkleider an. Carol durchsuchte von oben nach unten die Schubladen einer rosafarbenen Kommode. Es war nichts Aufregenderes darin zu finden als recht ausgefallene Unterwäsche, meistens aus rotem Satin.
Merrick kam als erster in das nach hinten gelegene Schlafzimmer. Er hatte kaum die Tür geöffnet, als er auch schon wußte, daß diesmal niemand zu den Medien laufen und sich beschweren konnte, daß der Haftrichter jemanden ohne entsprechende Beweislage eingesperrt hatte. »Sir!« schrie er. »Ich glaube, wir haben die Sache geknackt!«
Das Zimmer war als Büro eingerichtet. Auf einem großen Schreibtisch standen ein Computer und verschiedene Zusatzgeräte, die keiner von den dreien identifizieren konnte. An einer der Seiten war ein Telefon mit einem modernen Kassettenrecorder verbunden. Ein kleiner Video-Schneidetisch stand in einer Ecke neben einem Aktenschrank. Auf einem stabilen Teewagen befanden sich ein Fernseher und ein Videogerät, beide hochmodern und von bester Qualität. An zwei Wänden ragten Regale bis zur Decke, vollgestellt mit Computerspielen, Videokassetten, Musikkassetten und Computerdisketten, jedes einzelne Stück ordentlich mit Großbuchstaben beschriftet. Das einzige unpassende Möbelstück in diesem Büroraum war ein Lehnstuhl, dessen Ledersitzfläche wie eine Hängematte an dem Stahlrahmen hing.
»Bingo!« keuchte Brandon schwer atmend. »Gut gemacht, Carol!«
»Wo zum Teufel sollen wir anfangen?« fragte Merrick.
»Kann einer von Ihnen mit dem Computer umgehen?« erkundigte sich Brandon.
»Ich meine, das sollten wir den Experten überlassen«, sagte Carol. »Er könnte so programmiert sein, daß die Daten vernichtet werden, wenn ein Unbefugter versucht, sich einzuloggen.«
»Okay. Don, Sie übernehmen den Aktenschrank, ich kümmere mich um die Videos, und Sie, Carol, schauen sich die Kassetten an.«
Carol ging zum Regal mit den Kassetten. Die ersten paar Dutzend schienen Musikkassetten zu sein, von Liza Minnelli bis zu U 2 . Als nächstes kamen ein Dutzend mit » AS « beschriftete und von eins bis zwölf durchnumerierte Kassetten. Es folgten vierzehn mit » PG « gekennzeichnete, dann fünfzehn mit » GF «, acht mit » DC « und schließlich sechs mit » AH «. Die Übereinstimmung der ersten vier Initialen mit denen der Mordopfer lag weit jenseits der Zufallsgrenze. Carol nahm voll schlimmer Ahnungen die erste der » AH «-Kassetten aus dem Regal, schob sie in den Recorder und setzte vorsichtig den Kopfhörer auf, der am Gerät angeschlossen war. Sie hörte das Geräusch eines läutenden Telefons, dann eine Stimme, die ihr so vertraut war, daß sie fast zu weinen angefangen hätte. »Hallo?« meldete sich Tony.
»Hallo, Anthony«, sagte eine Frauenstimme, die ihr irgendwie bekannt vorkam.
»Wer ist da bitte?« fragte Tony.
Es folgte ein glucksendes Lachen, tief und sexy. »Das rätst du nie. Nicht in Millionen Jahren.« Jetzt hab’ ich’s, dachte Carol, und eine böse Erinnerung schoß ihr durch den Kopf. Die Stimme auf Tonys Anrufbeantworter.
»Okay, dann sagen Sie mir doch, wer Sie sind«, erwiderte Tony, das Spielchen zunächst
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