Das Lied der Sirenen
hatten dich nicht verdient. Aber all das kann sich jetzt ändern. Mit mir kann es anders werden, weil ich dich liebe.«
Die starre Maske ihres Gesichts zerfloß vor seinen Augen, wurde weicher, zarter. Sie lächelte ihn an. »Weißt du, es ist mir nie um Sex gegangen. Ich konnte Sex haben, wann immer ich wollte. Männer haben mich für Sex bezahlt. Sie haben mir viel Geld für Sex gegeben. So habe ich die Operationen finanziert, verstehst du? Die Männer waren immer scharf auf mich.« Aus ihrer Stimme klang eine seltsame Mischung aus Stolz und Zorn.
»Ich kann gut verstehen, warum«, log Tony und hoffte, sein Gesichtsausdruck spiegle Begierde und Bewunderung wider. »Aber alles, was du wirklich gewollt hast, war Liebe, nicht wahr? Du wolltest mehr als lieblosen Sex auf den Straßen und gesichtslosen Sex über das Telefon. Und du verdienst Liebe, bei Gott, du verdienst sie. Und ich kann sie dir geben, Angelica. Liebe besteht nicht nur daraus, daß man körperlich voneinander angezogen wird, obwohl ich dich unheimlich attraktiv finde. Bei der Liebe geht es auch um Respekt, Bewunderung, Faszination, und ich fühle all das für dich. Angelica, du kannst haben, was du dir so sehr wünschst. Du kannst es mit mir erleben.«
Ihre widerstreitenden Gefühle waren ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie wünschte sich sehnsüchtig, ihm glauben, in die Welt normaler Beziehungen entkommen zu können. Aber das mußte erst einmal mit ihrer Selbstachtung in Übereinstimmung gebracht werden, die so gering war, daß sie sich nicht vorzustellen vermochte, daß ein Mann, der ihrer Liebe wert war, sie auch tatsächlich liebte. Und vor allem war sie natürlich mißtrauisch, daß Tony sie in eine Falle locken würde. »Wie können wir das?« fragte sie barsch. »Du hast versucht, mich zur Strecke zu bringen. Du arbeitest mit der Polizei zusammen. Du bist auf ihrer Seite.«
Tony schüttelte den Kopf. »Das war vor dem Zeitpunkt, als ich erkannte, daß du die Frau warst, in die ich mich bei den Telefongesprächen verliebt hatte. Liebe ist eine Emotion, die sich über die Pflicht hinwegsetzt. Ja, ich habe mit der Polizei zusammengearbeitet, aber ich bin keiner von ihnen.«
»Wenn man sich zu den Hunden legt, steht man mit Flöhen wieder auf«, höhnte sie. »Du hast versucht, mich aus dem Verkehr zu ziehen, Anthony. Kannst du da erwarten, daß ich dir glaube? Du hältst mich anscheinend für strohdumm.«
»Ganz im Gegenteil. Wenn du von dumm reden willst, dann sprich über die Polizei. Die meisten Polizeibeamten sind völlig einseitige, langweilige, engstirnige Typen, die das Interesse eines Psychologen höchstens fünf Minuten fesseln können. Ich habe nichts gemeinsam mit ihnen«, bemühte sich Tony verzweifelt, sie von seiner Loyalität zu überzeugen.
Sie schüttelte den Kopf, aber eher besorgt als verärgert. »Du arbeitest für das Innenministerium. Während deines ganzen Berufslebens hast du Serientäter überführt und sie dann therapiert. Und jetzt erwartest du von mir, daß ich glaube, du hättest plötzlich die Seiten gewechselt und würdest loyal zu mir stehen? Komm, Anthony, ich falle auf so einen Unsinn nicht herein.«
Tony sah seine Felle davonschwimmen. Sein Gehirn arbeitete einfach nicht schnell genug, sie in Schach zu halten. Deprimiert sagte er: »Ich habe nicht all die Jahre Leute überführt, sondern sie behandelt. Und das mußte ich tun, verstehst du das denn nicht? Die Einrichtungen, an denen ich gearbeitet habe, boten als einzige die Möglichkeit, auf menschliche Gehirne zu stoßen, deren Funktionieren komplex genug war, mein Interesse zu wecken. Es ist damit vergleichbar, daß man in den Zoo geht, um sich wilde Tiere anzusehen. Man würde sie selbstverständlich am liebsten in ihrer natürlichen Umgebung beobachten, in der Wildnis, aber wenn die einzige Möglichkeit, sie überhaupt studieren zu können, bei einem Besuch im Zoo geboten wird, dann geht man eben in den Zoo. Ich mußte immer darauf warten, bis sie eingefangen waren, ehe ich sie studieren konnte. Du aber, Angelica, lebst noch in der Wildnis, lebst noch so, wie du es möchtest, als Persönlichkeit zur Perfektion herangereift. Und im Vergleich mit ihnen bist du das Sahnehäubchen auf der Torte. Du bist einmalig, außergewöhnlich. Ich möchte den Rest meines Lebens damit zubringen, von deinem Geist in Erregung versetzt zu werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dich jemals langweilig zu finden.«
Sie schob die Unterlippe vor, was ihrem Gesicht
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