Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
dafür, daß er den Rhythmus beschleunigen will. Das ist übrigens recht ungewöhnlich. Wie auch immer, wenn ich das Material gesichtet habe, werde ich eine bessere Vorstellung davon haben, wie weit er sich unter Kontrolle hat, aber ich glaube doch, daß er einige Zeit verstreichen läßt, ehe er wieder mordet. Doch während ich das sage, hat er vielleicht schon sein nächstes Opfer ausgesucht, weshalb wir sicherstellen müssen, daß jeder Fortschritt, den wir machen, vor den Medien geheimgehalten wird. Wir dürfen auf keinen Fall der Katalysator sein, der den Prozeß seines Handelns beschleunigt.«
    Carol stöhnte auf. »Sind Sie immer so optimistisch?«
    »Das kommt auf die Umstände an. Oh, noch etwas. Wenn Sie auf einen Verdächtigen stoßen, bitte ich, mir nichts davon zu sagen. Es besteht die Gefahr, daß ich unbewußt mein Profil auf ihn zuschneide.«
    »Wenn es nur schon soweit wäre.«
    »Sieht es wirklich so schlecht aus?«
    »Wir haben uns jeden vorgeknöpft, der bei uns wegen tätlicher Bedrohung oder Gewalttätigkeit gegen homosexuelle Männer aktenkundig ist, aber bei keinem zeichnet sich auch nur ein entfernter Verdacht ab.«
    Tony verzog mitfühlend das Gesicht, nahm dann die Fotos von Adam Scotts Leiche zur Hand und ging sie langsam durch. Er holte sich einen Bleistift aus der Schale und zog seinen DIN -A 4 - Notizblock näher zu sich. Dann sah er zu Carol auf. »Kaffee? Ich wollte Sie natürlich schon früher fragen, war aber von unserem interessanten Gespräch abgelenkt.«
    Carol fühlte sich wie eine Mitverschworene. Auch ihr hatte das Gespräch Spaß gemacht, obwohl sie von dem leisen Schuldgefühl geplagt wurde, daß Mehrfachmörder keine Quelle von Spaß sein sollten. Ein Gespräch mit Tony war ein Gespräch mit einem Gleichgesinnten, einem Mann, der keine eigennützigen Zwecke verfolgte und dessen vornehmliches Bestreben es war, einen Weg zur Wahrheit zu finden, ohne dabei sein eigenes Ego aufbügeln zu wollen. Das war etwas, was sie bei den Ermittlungen in diesen Mordfällen bisher vermißt hatte. »Ja, bitte«, antwortete sie. »Ich nähere mich offensichtlich dem Punkt, bei dem Kaffee zur Notwendigkeit wird. Wollen Sie, daß ich welchen hole?«
    »Um Gottes willen nein! Sie sind nun wirklich nicht zum Kaffeeholen hier. Warten Sie, ich bin gleich zurück. Wie nehmen Sie Ihren?«
    »Schwarz, ohne Zucker, bevorzugt als intravenöse Tropfinfusion.«
    Tony nahm eine große Thermoskanne aus einem Aktenschrank und verschwand damit. Nach weniger als fünf Minuten kam er mit zwei dampfenden Bechern und der Thermoskanne zurück. Er gab Carol einen der Becher und deutete auf die Kanne. »Sie ist voll. Ich denke, wir werden noch einige Zeit beisammensitzen. Bedienen Sie sich, wann immer Sie möchten.«
    Carol nahm dankbar einen ersten Schluck. »Wollen Sie mich heiraten?« frage sie in gespielter Koketterie.
    Tony lachte, um die plötzliche Verkrampfung seines Magens zu verbergen, eine ihm wohlbekannte Reaktion auf die kleinste Andeutung eines Flirts. »In ein paar Tagen werden Sie mich das nicht mehr fragen«, sagte er ausweichend und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder den Fotos zu.
    »Opfer Nummer eins, Adam Scott«, murmelte er und machte sich eine Notiz auf seinem Block. Er ging die Fotos einzeln durch, dann fing er wieder von vorn an. Das erste Foto zeigte einen Platz in einer Stadt mit großen georgianischen Häusern auf der einen Seite, einem modernen Büroblock auf der anderen und einer Reihe von Geschäften, Bars und Restaurants auf der dritten. In der Mitte des Platzes war eine öffentliche Parkanlage, die von zwei diagonalen Fußwegen durchkreuzt wurde, und in dessen Mitte wiederum ein reichverzierter viktorianischer Trinkbrunnen. Die Anlage war von einer knapp einen Meter hohen Backsteinmauer umgeben. An zwei Seiten befanden sich dichte Buschreihen. Die georgianischen Häuser waren leicht heruntergekommen, der Stuck an den Fassaden zum Teil abgeblättert. Tony stellte sich vor, er würde an der Ecke des Platzes stehen, das Bild in sich aufnehmen, die feuchte Stadtluft, vermischt mit dem schalen Gestank nach Alkohol und Fast food riechen und die nächtlichen Geräusche hören, das leise Brummen von Automotoren, das Klappern hoher Absätze auf dem Pflaster, gelegentliches Lachen und Rufe im Nachtwind, das Zirpen von Staren, die vom grellen Licht der Straßenlaternen um den Schlaf gebracht werden. Wo hast du gestanden, Handy Andy? Von wo aus hast du den auserwählten Ort beobachtet? Was

Weitere Kostenlose Bücher