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Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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erstmals in vollem Umfang zu erkennen. Tony schaute sich jedes einzelne Foto der Serie genau an und blätterte manchmal zurück zu einer davorliegenden Aufnahme. Als er die Augen schloß, konnte er sich Adam Scotts unversehrten Körper vorstellen, und dann, wie er nach und nach von Wunden und Quetschungen überzogen wurde wie von exotischen Blüten. Er vermochte im Geist die Zeitlupen-Vision der Hände heraufzubeschwören, die mit einer besonderen Maltechnik diese Bilder auf dem Fleisch eines Menschen hervorbrachten. Nach ein paar Sekunden öffnete er die Augen wieder. »Diese blauen Flecken im Nacken und auf der Brust – was sagt der Pathologe dazu?« fragte er.
    »Lutschflecken, wie von einem Liebesspiel.«
    Ein Kopf, der sich dem Körper nähert, raubtierartig, die bizarre Parodie eines Liebesspiels. »Und diese Auskerbungen im Fleisch des Nackens und der Brust? Die drei Stellen, an denen Fleisch weggeschnitten worden ist?«
    »Die Fleischstücke sind vom Mörder erst nach Eintritt des Todes rausgeschnitten worden. Vielleicht ißt er sie auf.«
    »Ja, vielleicht«, sagte Tony zweifelnd. »Können Sie sich erinnern, ob es irgendwelche Druckspuren im Gewebe neben den Einschnitten gab?«
    »Ich glaube, ja«, antwortete Carol überrascht.
    Tony nickte. »Ich werde das im Bericht des Pathologen nachlesen. Er ist ein schlauer Bursche, unser Handy Andy. Als spontane Reaktion würde ich sagen, daß er die Fleischstücke nicht als Souvenirs behalten wollte oder daß es sich gar um Anzeichen von Kannibalismus handelt. Ich glaube, daß es an diesen Stellen Bißspuren gab. Und Handy Andy weiß genug über forensische Zahnmedizin, um sich darüber klar zu sein, daß Bißspuren ihn überführen könnten. Nachdem seine Ekstase abgeklungen war, hat er das potentielle Beweismaterial durch Rausschneiden des Fleisches beseitigt. Diese Schnitte in den Genitalien – sind sie vor oder nach Eintritt des Todes erfolgt?«
    »Danach. Der Pathologe hat vermerkt, daß sie aussehen, als wären sie versuchsweise gemacht worden.«
    Tony lächelte befriedigt. »Hat der Pathologe sich dazu geäußert, was die Verletzungen an den Gliedmaßen hervorgerufen hat? Bei den Aufnahmen von der Seite sieht es aus, als ob jemand vorgehabt hätte, einer Stoffpuppe die Arme und Beine auszureißen.«
    Carol seufzte. »Er wollte nicht zu einer offiziellen Aussage gedrängt werden. Alle vier Gliedmaßen waren aus den Gelenken gerissen, einige Wirbel auseinandergezerrt worden. Er sagte …« Sie unterbrach sich und gab dann genau die ungeheuerliche Aussage des Pathologen wieder: »›Zitieren Sie mich nicht, aber ich hätte solche Verletzungen bei einem Opfer der spanischen Inquisition erwartet, das man auf die Streckbank gespannt hat.‹«
    »Die Streckbank? Scheiße, wir haben es tatsächlich mit einem verdammt verkorksten Gehirn zu tun. Okay. Zum nächsten Opfer. Paul Gibbs. Das war Ihr Fall, nicht wahr?« Tony steckte den ersten Fotosatz zurück in den Ordner und nahm die Mappe mit dem zweiten heraus. Er verfuhr mit diesen Fotos wie mit denen von Adam Scott. »Wo gibt es denn nun Verbindungen zum ersten Fall?« fragte er schließlich.
    »Einen Moment, ich zeige es Ihnen.« Carol öffnete einen der beiden Kartons und nahm einen Stadtplan heraus, den sie obenauf gelegt hatte. Sie faltete ihn auseinander und breitete ihn auf dem Boden aus. Tony stand hinter dem Schreibtisch auf und ging neben ihr in die Hocke. Sie nahm sofort seinen Geruch wahr, eine Mischung aus Shampoo und einem leicht animalischen Körpergeruch. Kein Macho-Rasierwasser, kein Männerparfüm. Sie schaute auf seine blassen, fast quadratischen Hände auf der Karte, auf die kurzen Finger mit den gepflegten Nägeln und den dünnen Büscheln schwarzer Haare auf dem untersten Glied jedes Fingers. Erschrocken merkte sie, daß sie ihn begehrte. Du bist gefühlsduselig wie ein Teenager, schimpfte sie sich selbst verärgert, wie ein Schulmädchen, das den ersten Lehrer anhimmelt, der etwas Nettes über seine Mitarbeit sagt. Werde erwachsen, Carol Jordan! Sie rückte ein Stück von ihm ab und tat so, als wäre das zur Erklärung der Örtlichkeiten erforderlich. »Crompton Gardens ist hier«, sagte sie, »und die Canal Street hier, etwa eine halbe Meile davon entfernt. Ungefähr in der Mitte zwischen den beiden liegt der Pub Queen of Hearts.«
    »Man kann wohl ziemlich sicher davon ausgehen, daß er sich in dieser Gegend gut auskennt, oder?« fragte Tony und prägte sich die Lage der Leichenfundorte

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