Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
ihm dann aufgeregt etwas berichtete. Als der Pelzhändler dann auch noch zu ihr schaute, war sie davon überzeugt, dass sie darüber nachdachten, wie sie sie in Sicherheit bringen könnten.
»Was ist los?«, fragte Marie panisch, als Carter zu ihr kam.
»Ich habe eine Entdeckung gemacht.« Der Schatten auf seinem Gesicht ließ sie nichts Gutes ahnen.
»Sind Sie auf ein Banditenlager gestoßen?«
»Nein, das nicht. Und ich glaube auch nicht, dass wir einen Überfall zu befürchten haben, denn die Banditen haben bereits reiche Beute gemacht.«
»Was bedeutet das?«
Carter legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich glaube, ich habe Ihren Treck gefunden.«
Marie brachte zunächst kein Wort hervor. Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
»Ich könnte verstehen, wenn Sie lieber hierbleiben wollen.«
»Nein, ich will es sehen!«
»Gut, aber wappnen Sie sich besser. Es ist kein schöner Anblick.«
Während sie versuchte, ihre Panik unter Kontrolle zu bringen, folgten Carter und sie den Pelzhändlern, die zum Fundort ritten. Schreckliche Bilder erschienen vor ihrem geistigen Auge. Waren alle Frauen ermordet worden? Oder hatte man ihnen noch Schlimmeres angetan?
Marie erreichte die Planwagen ein wenig später als die Männer. Schockiert brachte sie das Tier zum Stehen.
Auf den Überfall deutete zunächst nur die Tatsache hin, dass die Wagen kreuz und quer auf der Lichtung standen. Einige Planen waren von Schüssen durchlöchert oder ganz zerfetzt. Die meisten Deichseln vor den Wagen waren leer, die Banditen hatten also auch die Pferde mitgenommen. Jene Tiere, die den Kampf nicht überlebt hatten, lagen neben den Wagen und verbreiteten einen unaussprechlichen Gestank.
»Gehen Sie lieber nicht näher ran«, riet Philipp, doch da stieg Marie schon aus dem Sattel und lief zu dem Wagen, den sie anhand der rot gestrichenen Ladeklappe als den ihren erkannte.
Mit einem unmutigen Schnaufen sprang nun auch Carter vom Pferd und folgte ihr.
Als Marie mit rasendem Herzen die Ladeklappe herunterklappte, fürchtete sie schon, die Leichen von Ella und den beiden anderen Frauen zu finden. Doch es waren nur Decken und einige Taschen, deren Inhalt hervorgezogen worden war. Auch ihre eigene Tasche hatte es erwischt. Auf der Suche nach Geld, das in Rocksäume eingenäht war, hatten die Banditen sämtliche Kleidungsstücke zerschnitten. Das Haarband, das sie von Johnston bekommen hatte, fehlte. Dafür fand sie immerhin ihre Papiere, die die Banditen offenbar nicht interessiert hatten. Rasch ließ sie sie unter ihrem Mieder verschwinden.
»Ich muss wirklich zugeben, dass Sie mutig sind«, brummte Carter, der inzwischen hinter ihr angekommen war. »Aber beim nächsten Mal sollten Sie sich an meine Weisung halten. Immerhin hätte jemand auf dem Wagen lauern können.«
»Der hätte bereits gefeuert, als wir uns dem Treck genähert haben«, gab Marie wie betäubt zurück.
Carter blickte in den Wagen und wirkte ebenfalls erleichtert, dass darin keine Leichen herumlagen.
»Das ist der Wagen, auf dem ich gefahren bin«, erklärte Marie beklommen. »Die anderen Frauen …«
»Wir sollten beten, dass sie inzwischen wieder freigelassen wurden.« Philipp klang nicht sonderlich überzeugt, denn er wusste nur zu gut, wie Menschenhändler mit ihrer Beute umgingen.
»Kann ihnen denn niemand helfen? Gibt es hier keine Polizei oder so etwas?«
»Doch, die Mounted Police. Und der werden wir auch Bescheid geben, wenn wir sie sehen. Wie lange waren Sie jetzt bei den Cree?«
»Etwa zwei Monate.«
Eine tiefe Falte erschien zwischen Carters Augenbrauen. »Dann sind sie über alle Berge. Wahrscheinlich haben sie die Frauen verkauft, und wenn ihnen das nicht gelungen ist, haben sie sie erschossen.«
»Verkauft?«
»Ja. Das hier ist eindeutig das Werk von Menschenhändlern.« Philipp griff nach einem Topf, der von einer Kugel durchschlagen worden war, und steckte den Finger durch das Loch. »Wenn sie nur auf Wertgegenstände aus gewesen wären, hätten sie auch die Frauen erschossen, doch so …«
Er wandte sich zur Seite, wo die Pelzhändler die Wagen durchsuchten. »Mr Jennings, wie sieht es aus? Kann ich mit der Lady hinter dem Wagen vorkommen oder ist der Anblick zu schrecklich?«
»Bleiben Sie lieber da!«, tönte es von Jennings; dann fragte er in die Runde, wie es aussah.
»Hier sind drei!«, meldete Jacques vom vorderen Ende des Wagens.
»Ich habe fünf!«, rief Brian und Jennings verkündete: »Ich habe auch noch mal fünf. Aber ich fürchte,
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