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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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gepflanzt, als er diesen Ort im Jahr 1812 für die englische Krone in Besitz nahm«, erklärte Jeremy, als er Maries Blick bemerkte. »Wunderschön, nicht wahr? Und tatsächlich das Älteste, was diese Stadt zu bieten hat. Die Häuser, die du hier siehst, sind niemals älter als zwanzig Jahre, die meisten sind erst im vergangenen Jahr wie Pilze aus dem Boden geschossen.«
    Erschaudernd wandte sich Marie von den Blutbuchen ab. Auch im Garten ihres Vaters hatte einer dieser Bäume gestanden. Luise hatte gruselige Geschichten darüber zu berichten gewusst, wie sich die Blätter dieses Baumes rot gefärbt hatten. Als Kinder hatten ihr Bruder und sie nie die Nähe der Blutbuche gesucht, nicht allein wegen der Geschichten, sondern auch, weil sie sämtliches Licht zu verschlucken schien.
    Vielleicht sollte ich ihm eines der Blutbuchenmärchen erzählen, ging es Marie durch den Kopf. Doch da standen sie bereits vor dem Glockenstuhl. Die kleine daran befestigte Glocke schimmerte rotgolden in der Abendsonne. »Sie mag vielleicht recht klein sein, hat aber einen wunderschönen Klang«, fuhr Jeremy mit seinen Ausführungen fort. »Leider kann ich ihn dir nicht vorführen, ohne Aufruhr in der Stadt zu verursachen.«
    Marie lächelte. »Ich glaube, ich kann bis zum Sonntag warten.«
    »Sicher.« Jeremy presste ein wenig ratlos die Lippen zusammen. War ihm der Gesprächsstoff bereits ausgegangen?
    »Jetzt habe ich die ganze Zeit nur von der Kirche geredet«, sagte er dann. »Du wolltest mir doch von dir und deiner Reise berichten.«
    Während sie dem Pfarrhaus zustrebten und sich dort schließlich auf einer Bank niederließen, erzählte ihm Marie von dem Überfall, der Zeit bei den Cree und auch wie versprochen von der Überfahrt. Jeremy hörte höflich zu, doch sie vermisste jegliche Regung bei ihm. Ob es daran liegen konnte, dass er Engländer war? Ihnen wurde nicht umsonst nachgesagt, Meister im Verbergen von Gefühlen zu sein.
    Lediglich als sie von ihrer Zeit bei den Indianern berichtete, ergriff er einmal scheu ihre Hand, worüber sie sich allerdings freute, war es doch das erste Zeichen von Annäherung.
    »Gott prüft die, die er liebt, am härtesten«, sagte er, nachdem Marie ihm gestanden hatte, dass sie Waise war. »Aber denen, die glauben, gibt er auch reichlich zurück. Denke nur an Hiob, der seine Familie und seine Habe verlor, aber niemals im Glauben wankte und so von Gott mit neuem Glück beschenkt wurde.«
    Du hast keine Ahnung, wie nahe du mir mit dem Hiob kommst, dachte Marie traurig, aber sie schob den Gedanken beiseite und setzte ein Lächeln auf.
    »Ich glaube ganz sicher, dass Gott mich in den nächsten Jahren reich beschenken wird. Immerhin hat er mich zu dir geführt.«
    Sie blickte Jeremy tief in die dunklen Augen, in der Hoffnung, darin einen Funken Sympathie für sie zu finden. Doch wenig später wich er ihrem Blick aus und ließ ihre Hand wieder los, als sei ihm ihre Nähe plötzlich unangenehm.
    »Wenn du möchtest, zeige ich dir das Innere meines Hauses. Es ist wie alles hier in der Stadt noch recht neu.«
    Marie stimmte lächelnd zu und folgte ihm dann durch die mit Schnitzereien verzierte Tür.
    Tatsächlich roch das Haus sogar noch nach frisch geschnittenem Holz, das mit Firnis behandelt wurde, damit es nicht faulte. Unter ihren Füßen knarrte das einfache, mit Bohnerwachs behandelte Parkett, während in der Diele eine Uhr monoton vor sich hin tickte, die wohl ein Erbstück war.
    Wird er es jetzt, geschützt vor allen Blicken, wagen, mich zu küssen?, fragte sich Marie und sah diesem Moment mit Herzklopfen entgegen. Noch nie hatte ein Mann sie anders geküsst als freundschaftlich.
    Doch Jeremy lief weiterhin steif voran, referierte über verbaute Holzarten und die Dinge, die noch am Haus gemacht werden mussten: hier eine Wand, dort ein klemmendes Fenster und in einer anderen Ecke ein Möbelstück, auf das er schon seit einem Monat wartete.
    »Was ist dahinter?« Als Marie auf eine der Türen deutete, fühlte sie sich beinahe wie Blaubarts Frau, die die verborgene Kammer entdeckt hatte.
    »Mein … unser Schlafzimmer.«
    »Darf ich es sehen?«
    »Ähm …« Verlegen blickte er zu Boden. »Ich glaube, du solltest es erst sehen, wenn wir verheiratet sind.«
    »Warum?« Marie wollte kein Grund einfallen, nicht einmal kurz durch die Tür zu schauen. Selbst über Junggesellenunordnung würde sie hinwegsehen. Doch Jeremy blieb eisern. »Weil dieser Ort einem Paar erst nach der Hochzeit zusteht. Ich sehe

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