Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
das jedenfalls so und würde mich freuen, wenn du das akzeptieren könntest.«
Die Schärfe in seinen Worten irritierte Marie ein wenig. »Natürlich«, antwortete sie und zog sich wieder von der Tür zurück.
Er ist sicher genauso aufgeregt wie du, versuchte sie sich zu trösten, als sie das Haus schweigend wieder verließen. Wahrscheinlich hatte er noch nie eine junge Frau in seinem Haus gehabt, die nicht die Braut eines anderen oder eine Trauernde war.
Doch sie wurde das Gefühl nicht los, dass etwas das Verhältnis zwischen ihnen, wenn man es denn so nennen konnte, ein wenig trübte.
An Stellas Haus angekommen, begleitete er sie noch bis in die Diele und verabschiedete sich dann mit einem höflichen Handkuss.
»Ich freue mich, dich morgen wiederzusehen. Und jetzt wünsche ich dir eine gute Nacht«, sagte er und verließ dann eilig das Haus.
Einige Tage nach Mutters Beerdigung meldete sich der Schulmeister bei uns an. In der Annahme, dass er meinem Vater sein Beileid wegen seines Verlusts aussprechen wollte, überbrachte ich Vater die Nachricht, die er akzeptierte und Herrn Hansen für den Nachmittag zu uns einlud.
Obwohl ich mir nichts hatte zuschulden kommen lassen, wurde mir mulmig zumute, als ich ihn den Weg vom Gartentor heraufkommen sah. Wie es von mir erwartet wurde, öffnete ich die Tür und begrüßte ihn mit einem artigen Knicks.
»Guten Tag, Herr Hansen.«
»Guten Tag, Marie!« Jedes Mal, wenn Martin Hansen lächelte, legte sich sein Gesicht derart merkwürdig in Falten, dass ich mir ein Lachen kaum verkneifen konnte. Doch da ich ihm direkt gegenüberstand, schaffte ich es, mich zu beherrschen.
»Kommen Sie, mein Vater erwartet Sie bereits!«
Ich begleitete ihn zum Arbeitszimmer und zog mich dann, wie es von mir erwartet wurde, zurück, denn mein Vater hatte die Angewohnheit, vollkommen unerwartet die Tür zu öffnen, um nachzusehen, ob auch niemand lauschte.
Doch schon als der Arzt wegen Luise gekommen war, hatte ich herausgefunden, dass ich unter der Treppe sehr gut hören konnte, ohne gesehen zu werden.
Ich hockte mich also in mein Versteck und wartete, bis die Höflichkeiten ausgetauscht waren und der Schulmeister sein Anliegen vorbrachte.
»Herr Pastor, der Grund, weshalb ich Sie aufsuche, ist Ihre Tochter.«
»Hat sie etwas angestellt?«, fragte mein Vater kühl, als würde ihm kein anderer Grund einfallen.
»Nein, ich könnte mir keine bessere Schülerin vorstellen. Sie ist sehr klug, gelehrig und brav, die Beste in ihrer Altersstufe.«
Das Brummen meines Vaters drückte alles aus, aber keine Zufriedenheit. Herr Hansen schien das nicht zu bemerken.
»Sie sollten sich überlegen, Ihre Tochter an eine höhere Schule zu schicken. Ihr gottgegebenes Talent für die Naturkunde und die Sprache könnte damit noch besser entwickelt werden, und damit stünde ihr sicher auch der Weg in eine gute Zukunft offen.«
Ich konnte mir gut vorstellen, welch finstere Miene Vater aufsetzte, als er jetzt murmelte: »Ich werde es mir überlegen.« Schweigen senkte sich für ein paar Atemzüge über das Arbeitszimmer. Herr Hansen war bei uns als Mann bekannt, der nicht so leicht aufgab. Zog er jetzt, angesichts des Zögerns meines Vaters, dieselbe strenge Miene wie angesichts unwilliger Schüler? War seine Hand vielleicht sogar versucht, nach dem Rohrstock zu tasten? Der Gedanke, obwohl er absurd war, amüsierte mich derart, dass ich mir die Hand auf den Mund pressen musste, um nicht laut loszuprusten.
»Ich wiederhole es noch einmal, Herr Pastor, ein Talent wie das Ihrer Tochter darf nicht verschwendet werden. Sie könnte ein leuchtendes Beispiel für die Frauen dieses Landes sein.«
»Mir sollte es genügen, dass sie eine gute Ehefrau wird und Kinder bekommt«, schnarrte mein Vater unwirsch. Das war seine wahre Meinung, während das gemurmelte Zugeständnis, es sich überlegen zu wollen, gelogen war.
Meine Heiterkeit verwandelte sich in einen dicken Kloß in meinem Hals. Erst jetzt begriff ich, was der Schulmeister bezweckte. Er wollte, dass ich eine bessere Bildung bekam. Dass ich eines Tages Lehrerin werden konnte, wie ich es mir erträumte. Doch Vater sah in mir nur eine Ehefrau. Nichts anderes sollte ich werden.
Da half es auch nichts, dass sich Herr Hansen weiter bemühte. »Auch eine Ehefrau sollte gebildet sein, finden Sie nicht? Ein Mann kann doch nur davon profitieren, wenn eine Frau den Haushalt klug zu führen weiß.«
»Es reicht, wenn sie Kinder kriegt. Das allein ist der Zweck des
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