Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
Weibes. Viele Kinder. Nicht so wie mein Weib, das nur zwei geboren hat.«
Wieder Schweigen. Diesmal, so befürchtete ich, würde sich der Schulmeister geschlagen geben.
»Bitte überlegen Sie es sich, Herr Pastor. Sie würden Ihrer Tochter wirklich …«
»Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir sagen wollen?«, schnitt Vater ihm das Wort ab.
»Nein, ich …«
»Dann danke ich für Ihren Besuch. Meine Zeit ist sehr knapp bemessen, müssen Sie wissen, ich habe noch etliches zu tun.«
Da niemand erwartete, dass ich den Schulmeister nach draußen geleitete, blieb ich einfach unter der Treppe sitzen und beobachtete, wie Herr Hansen seinen Weg allein nach draußen fand.
19. Kapitel
Die nächsten beiden Tage waren von Langeweile geprägt. Nicht, dass Marie Schwierigkeiten gehabt hätte, sich der neuen Umgebung anzupassen. Ebenso schnell, wie sie sich an das Leben draußen gewöhnt hatte, stellte sich auch das Wohlbefinden innerhalb fester Mauern wieder ein. Aber viele Dinge waren doch anders, als sie es sich vorgestellt hatte.
Sie hatte erwartet, dass Stella und Rose mit ihr einen kleinen Stadtbummel machen würden, um ein wenig Einrichtung für ihr Zimmer zu besorgen, doch die beiden blieben strikt im Haus. Wenn etwas besorgt werden musste, wurde Rose geschickt. Maries Versuche, sie zu begleiten, wurden regelmäßig dadurch vereitelt, dass Stella sie bat, ihr ein wenig Gesellschaft in der Küche oder im Salon zu leisten. Dabei fragte Stella sie alle möglichen Dinge, sodass Marie schließlich aufpassen musste, sich nicht zu verplappern. Ihr tiefstes und schmerzlichstes Geheimnis durfte niemand erfahren.
Von allen Gelegenheiten, mit Stella allein sein zu müssen, war ihr der Aufenthalt in der Küche am liebsten. Tatsächlich kochte Stella allein und war dabei gar nicht so ungeschickt, wie Rose es scherzhaft angedeutet hatte. Marie half beim Gemüseschneiden, rührte geduldig Teig und Porridge und kam sich immer wieder einmal so vor, als stünde sie neben Marianne, der zweiten Haushälterin ihrer Familie, der sie als Heranwachsende oft in der Küche geholfen hatte.
Nach dem kleinen Imbiss um die Mittagszeit zog sie sich für ein paar Stunden zurück. Meist setzte sie sich an den Schreibtisch, um an ihren Notizen weiterzuarbeiten, oder sie las in einem Buch, das Stella ihr lieh. Aunties Bibliothek war recht beeindruckend. Neben vielen Gedichtbänden und Romanen fanden sich auch wissenschaftliche Abhandlungen darunter, die sie ihrem Gatten Jonathan zu verdanken hatte, der Botaniker gewesen war.
Bislang hatte Stella nicht viel über ihn erzählt, und auch Rose hüllte sich über ihren Vater in Schweigen.
Aber auch sie selbst sprach ja nicht von ihrem Vater, musste Marie zugeben. Und vielleicht sprachen Englischstämmige allgemein nicht gern über Verstorbene.
An diesem recht trüben und wolkenverhangenen Nachmittag nickte sie über einer eigentlich recht interessanten Abhandlung über Tropenpflanzen ein. Ihr Bett schmiegte sich so weich und behaglich an ihren Körper, dass aus wenigen Minuten zwei Stunden wurden.
Als sie wieder erwachte, schien eine strahlende Nachmittagssonne durch die Fenster, es musste also Teezeit sein! Da sie mitbekommen hatte, wie wichtig Stella die Teezeit war, erhob sie sich rasch von ihrem Bett, ordnete Kleid und Frisur und ging dann nach unten.
Auf halbem Weg vernahm sie Stimmen.
Jeremy war hier? Davon hatte er ihr am Vorabend gar nichts gesagt. Und warum war Rose nicht nach oben geschickt worden, um sie zu wecken?
Obwohl es sich eigentlich nicht gehörte zu lauschen, blieb Marie neben der Wand stehen und versuchte, möglichst flach zu atmen.
»Sie war bei den Wilden, das arme Ding«, sagte Stella in mitleidigem Tonfall. »Weiß Gott, welche heidnischen Gedanken man ihr dort eingepflanzt hat. Hast du gehört, wie sie über diese Menschen geredet hat? Als seien es ihre besten Freunde.«
»Wie du gehört hast, haben sie sie gerettet und gepflegt«, hielt Plummer dagegen, was in Marie einen Funken Sympathie ihm gegenüber erzeugte, auch wenn er hinter ihrem Rücken mit seiner Tante über sie sprach. »Ob sie nun Heiden sind oder nicht, sie haben Nächstenliebe bewiesen.«
»Und wahrscheinlich hätten sie sich deine Braut zur Auffrischung ihres eigenen Blutes einverleibt, wenn diese Händler nicht gekommen wären. Hoffentlich hatte sie keinen Umgang mit den Männern dort und ist jetzt schwanger. In den letzten Tagen hat sie sich immer zum Schlafen zurückgezogen. Als ich schwanger
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