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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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Vater mit Luise in deren Schlafkammer getan hatte. Und wozu es geführt hatte.
    Ich lehnte mich an meinen Bruder, und wir beide beobachteten, wie sich der Himmel vor dem Fenster unserer Kammer verdunkelte. Obwohl alles wie immer war, spürte ich doch, dass sich jetzt vieles ändern würde.

20. Kapitel

    Am folgenden Nachmittag zog es Marie wieder zur Schule. Diesmal hatte sie sich bei Stella unter dem Vorwand verabschiedet, sich nach Aussteuerteilen und einer Schneiderin umzusehen, was Jeremys Tante mit einem gleichgültigen Kopfnicken quittierte. Aus irgendeinem Grund war sie auf einmal nicht mehr so erpicht darauf, mit ihr den Tag zu verbringen.
    Recht so!, sagte sich Marie, während sie sich durch die Menge der Passanten drängte. Sie wird schon sehen, dass ich nicht schwanger bin, und sie muss lernen, mir zu vertrauen. Wie könnte ich ihr das besser beweisen als mit Unabhängigkeit.
    Auf der Main Street wimmelte es nur so von Menschen, als würde es hier irgendwo einen Wochenmarkt geben. Als die Schule vor ihr auftauchte, flog gerade die Eingangstür auf, und einige Kinder stürmten lärmend nach draußen. Eine Gruppe Jungen rannte sie beinahe über den Haufen, was Marie allerdings mit einem Lachen quittierte.
    Ja, das hatte ihr gefehlt! Von kindlicher Unbeschwertheit umgeben zu sein – jedenfalls während der Pausen. Als der Strom der Kinder aus der Tür versiegt war, erklomm sie die Treppe und tauchte ein in die kühlen Räume, die nun ein leichter Essensgeruch durchzog.
    In einem der Klassenzimmer scharrte ein Stuhl über den Boden. Nach kurzem Zögern strebte Marie der Tür zu.
    James Isbel war gerade dabei, die Tafel abzuwischen, an der er Algebra-Formeln niedergeschrieben hatte. Froh darüber, dass er sie nicht gleich bemerkte, beobachtete sie den Mann, der heute eine geblümte Weste über dem blütenweißen Hemd und der schwarzen Hose trug. Gleichzeitig fragte sie sich, ob er den Unterricht hier allein führte. Darauf, hier eine Stelle ergattern zu können, hoffte sie allerdings nur insgeheim, denn ihre Vernunft machte ihr klar, dass Isbel ganz sicher nicht auf eine Lehrerin aus Deutschland gewartet hatte.
    »Guten Tag, Mr Isbel!«, machte sie sich schließlich bemerkbar.
    Überrascht fuhr der Lehrer herum. »Ah, guten Tag, Miss Blumfeld!« Er wischte sich mit einem Lappen den Kreidestaub von den Fingern. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich Sie so schnell wiedersehe.«
    »Ich konnte einfach nicht anders. Immerhin …« Sie stockte, unschlüssig, ob sie ihm davon erzählen sollte.
    »Was?«, hakte Isbel lächelnd nach.
    »Die Schule ist so etwas wie mein zweites Zuhause.«
    »Es ist sehr selten, dass Schüler so denken. Die meisten zieht es nicht mehr zu ihrer Schule und noch weniger zu anderen Schulen, es sei denn, sie wollen dort ein Kind unterbringen.«
    »Ich bin nicht nur ehemalige Schülerin«, entgegnete Marie und musste all ihren Mut zusammennehmen, bevor sie hinzusetzte: »In Deutschland habe ich als Lehrerin gearbeitet.«
    Isbel zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Wirklich? Ob Sie’s mir glauben oder nicht, aber etwas in der Art habe ich mir insgeheim schon gedacht. Immerhin sprechen Sie nahezu perfekt eine Fremdsprache und scheinen auch sonst einiges im Köpfchen zu haben.«
    Marie errötete. »Danke, das ist sehr freundlich.«
    »Das ist die Wahrheit, meine Gute!« Isbel ging ihr ein paar Schritte entgegen und lehnte sich dann gegen eine der Bänke. »Sagen Sie, wollen Sie Ihren Beruf hier in Selkirk ausüben?«
    »Am liebsten schon«, platzte es aus Marie heraus. »Allerdings glaube ich, dass es schwer wird, eine Stelle zu finden. Sie haben hier doch sicher genug Lehrkräfte.«
    Isbel sagte darauf nichts. Stattdessen fragte er: »Haben Sie in letzter Zeit irgendwo unterrichtet? Auf dem Schiff vielleicht?«
    Warum fragt er das?, tönte eine kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die Marie rasch beiseiteschob. Viel zu groß war die Aufregung, die sie plötzlich überkam, denn sie hätte nicht gedacht, dass sich so schnell eine Gelegenheit ergeben würde, von den Zuständen im Indianerlager zu berichten.
    »Ich habe tatsächlich unterrichtet«, antwortete sie, bemüht darum, sich vor lauter Begeisterung nicht zu verhaspeln und ins Deutsche zu verfallen. »Während der Reise hierher wurde unser Treck überfallen, ich stürzte vom Wagen und wurde von Cree-Indianern aufgelesen. Etwa zwei Monate habe ich dort verbracht und nach einer Weile begonnen, den Kindern Englisch beizubringen. Und noch ein

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