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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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Auf Zehenspitzen strebte sie der Treppe zu.
    »Da bist du ja!« Wie ein Kastenteufel schnellte Rose um die Ecke. »Wir haben schon überall nach dir gesucht.«
    »Ich habe nur einen kleinen Spaziergang gemacht.« Marie errötete.
    »Du meine Güte! Wo warst du denn?«
    Jetzt gesellte sich auch noch Stella dazu. »Ich habe meinen Neffen losgeschickt, um dich zu suchen. Das nächste Mal solltest du Bescheid sagen, wenn du irgendwohin gehst!«
    Bin ich denn ein kleines Kind?, wäre Marie beinahe herausgeplatzt, doch da sie keinen Streit wollte, versagte sie sich diese Bemerkung.
    »Entschuldige bitte, ich habe mich in der Zeit ein wenig verschätzt und an den Schaufenstern festgeguckt.«
    Stellas Züge erweichten sich nun wieder ein wenig. »Nun, das kann passieren. Selkirk ist recht groß; ehe man sichs versieht, verliert man sich in den Straßen. Ich glaube, Jeremy wird gleich wieder da sein, dann können wir zu Abend essen.«
    Während des Abendessens wollte ihr die Begegnung mit dem Schulhaus und Mr Isbel nicht aus dem Sinn. Noch immer meinte sie die Kreide und das Holz der Sitzbänke zu riechen. Der freundliche Vorschlag wiederzukommen, ließ ihren Puls in die Höhe schnellen. Beim nächsten Mal sollte ich mir wirklich eines seiner Bücher leihen. Dann sieht es nicht so aus, als wäre ich aufdringlich, dachte sie.
    Jeremys Fragen, wie sie den Tag verbracht hatte, beantwortete sie freundlich, Stella erntete von ihr allerdings nur eisiges Schweigen. Natürlich konnte sie ihr nicht aus dem Weg gehen und auch nichts an ihrer Meinung ändern. Aber an diesem Abend redete sie kein einziges Wort mit ihr und legte sich dann nach einem knappen Gutenachtgruß ins Bett.
    Obwohl wir beide eigentlich schon viel zu alt dafür waren, trafen sich Peter und ich immer noch unter dem Fliederbusch, auch wenn wir allmählich zu groß für die von der Natur geschaffene Laube wurden. Den Märchen, die er erzählte, lauschte ich noch immer gern, doch ich wusste nun, dass es keinen Wolf brauchte, um eine Jungfrau zu verschlingen.
    Dann kam die Zeit, in der wir uns zu verändern begannen. Peters Stimme war merkwürdigen Schwankungen unterworfen, und allmählich begann auch mein Busen zu wachsen.
    Die einzige Erklärung, die wir von Marianne erhielten war: »Das ist eben so, wenn man erwachsen wird.«
    Als mein erstes Blut floss, hockte ich verschreckt in unserer Zimmerecke und traute mich nicht, Vater oder Marianne unter die Augen zu treten. Ich dachte, dass ich eine schlimme Krankheit hätte, und da ich davon überzeugt war, meinem Vater völlig egal zu sein, hielt ich es für sinnlos, ihm davon zu erzählen.
    Als mein Bruder mich tränenüberströmt fand, glaubte er zunächst, ich hätte mir von Vater Prügel eingefangen. »Was ist denn los, Mariechen?«, fragte er, wobei seine Stimme mal die eines Mannes, mal die eines Jungen war, was sich ziemlich beängstigend anhörte. »Hat es was mit dem Rohrstock gesetzt?«
    Ich schüttelte den Kopf. Wie sollte ich ihm nur sagen, was los war?
    Als ich schließlich den Mut dazu fand, blickte mich Peter erschrocken an. Etwas anderes hatte ich nicht erwartet. Wenn ich schon nicht wusste, was mit mir los war, wie sollte er es wissen?
    »Jakobs älterer Schwester ist es schon vor einem Jahr so ergangen«, versuchte er mich zu beruhigen, nachdem sich sein Schrecken ein wenig gelegt hatte.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich, während ich mir die Tränen vom Gesicht wischte. Die Nähe meines Bruders hatte etwas ungeheuer Tröstliches; selbst wenn ich krank gewesen wäre, wäre der Schrecken darüber in diesem Augenblick nicht mehr so groß gewesen.
    »Er hat es erzählt, nachdem er Susannes Mutter und ihre Magd belauscht hatte. Die beiden haben sich sogar schon darüber unterhalten, wen Susanne mal heiraten soll. Dabei war sie da erst dreizehn!«
    Und ich war zwölf. Hieß das, dass mein Vater, wenn er meine Blutung mitbekam, auch Heiratspläne für mich schmieden würde?
    Das unangenehme Gespräch zwischen Herrn Hansen und meinem Vater kam mir wieder in den Sinn. Ihm reichte es, wenn ich heiratete und Kinder bekam. Dessen ungeachtet fuhr der Schulmeister fort, mich für die höhere Schule zu begeistern, und förderte mich weiterhin.
    Doch jetzt, da ich blutete und damit bereit für eine Ehe war, was würde aus dem Lyzeum werden?
    »Was du hast, ist also ganz normal, Mariechen, jetzt wirst du eine richtige Frau.«
    Aber wollte ich das überhaupt sein? Auch nach Jahren ging mir nicht aus dem Sinn, was

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