Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
eines Reverends«, wandte Stella ein, bevor Jeremy etwas dazu sagen konnte.
»Aber Lehrerin dürfte doch ein angemessener Beruf sein, oder?« Sie blickte zu Jeremy. »Immerhin hat mich dein Neffe in dem Wissen um meinen Beruf als Braut ausgesucht.«
Stellas Kopf wirbelte herum, als wollte sie fragen, ob das wahr sei.
»Aber es gibt keine verheirateten Lehrerinnen«, warf Rose vorlaut ein.
Marie atmete tief durch, dann legte sie so ruhig, wie es ihre Finger erlaubten, das Besteck neben den Teller.
»Bis zu meiner Heirat werden noch ein paar Monate vergehen, was bedeutet, dass ich euch in dieser Zeit gewissermaßen nutzlos auf der Tasche liegen muss. Meine Erziehung wie auch mein Ehrgefühl verbieten mir das, obwohl ich euch sehr dankbar für alles bin, was ihr aus freien Stücken für mich tut.« Marie warf einen kurzen Blick in die Runde. Stella sah sie mit offenem Mund an, Roses Wangen glühten. Jeremys Miene drückte Gelassenheit aus – noch. Wer weiß, ob das so bleibt, wenn ich fortfahre, dachte Marie und redete dann weiter: »Daneben ist es sicher auch hier Brauch, eine Aussteuer mit in die Ehe zu bringen. Auch wenn in der Vereinbarung nicht die Rede davon war, würde ich das gern tun. Ich habe einige ganz reizende Stücke Weißwäsche gesehen, die ich gern erwerben möchte, doch dazu benötige ich Geld. Geld, das von mir kommt. Da ich keine Eltern habe, die dafür aufkommen könnten, muss ich dieses Geld selbst verdienen.«
Beinahe kam sie sich schon wie eine Lehrerin vor, die Kindern erklären musste, wie die Welt funktionierte. »Mr Isbel zahlt mir zehn Dollar die Woche, und das Mittagessen nehme ich zusammen mit ihm und seiner Frau ein. Ich hätte die Möglichkeit, die Eltern der Kinder kennenzulernen, die sicher auch in der Kirchengemeinde aktiv sind. So ersparen wir uns steife Förmlichkeiten, und die Menschen wissen gleich, wer ich bin.«
»Dennoch sollte die Frau eines Reverends sich eher um seine Gemeinde kümmern als um die Kinder.«
»Das eine schließt doch das andere nicht aus!« Maries Wangen glühten. Nein, ich brauche keine Genehmigung von euch, um arbeiten zu gehen!, schoss es ihr trotzig durch den Kopf. Solange kein Ehering an meinem Finger steckt und ich keinen Vormund habe, kann ich tun, was ich will. »Bestimmt ist die Erfahrung, die ich sammle, mir von Nutzen, wenn ich die Katechismusstunden leite. So etwas gibt es hier doch auch, oder?«
Jeremy nickte matt.
»Außerdem kann ich die Stelle auch gern wieder aufgeben, sobald wir verheiratet sind. Es ist, wie ich bereits sagte, für die Zwischenzeit, um die Menschen hier kennenzulernen und mir einen guten Grundstock an Aussteuer zu schaffen.«
Als sie endete, bemerkte Marie atemlos, dass sie die letzten Worte in einem Zug gesagt hatte.
Unangenehmes Schweigen legte sich über das Esszimmer. Jeremy spielte unruhig mit seiner Serviette. Immer wieder wanderte sein Blick zu Stella, als hoffte er, sie könnte ihm sagen, was zu tun sei.
»Also gut«, sagte er schließlich, während er die Serviette wieder ablegte. »Bis zu unserer Vermählung kannst du meinetwegen die Stelle annehmen. Es kann nicht schaden, wenn dich die Menschen bereits kennenlernen; außerdem wird Mr Isbel für die Hilfe sicher sehr dankbar sein.«
Ein Lächeln huschte über Maries Gesicht, während sie sich wieder entspannte. Diese Hürde hatte sie geschafft! Was später folgen würde – nun, man würde sehen.
»Ich danke dir, Jeremy!«, sagte sie reserviert, denn sie spürte, dass Plummer kein Mann war, dem impulsive Umarmungen etwas bedeuteten.
Ihr Verlobter quittierte ihre Worte mit einem leichten Nicken, dann wandte er sich wieder seiner Mahlzeit zu. Vergnügt registrierte Marie, dass Stella und Rose sie immer noch anstarrten, als hätte der Blitz eingeschlagen. Doch da von ihnen kein weiterer Protest zu hören war, schob sie sich ein Stück Steak in den Mund und kaute herzhaft darauf herum.
21. Kapitel
In der Nacht fand Marie keinen Schlaf. Unruhig wälzte sie sich auf dem knarzenden Bettgestell herum und lauschte dem Bellen der Hunde.
Während des Abends war das Gespräch nicht wieder auf ihre Anstellung gekommen. Stella und Rose hatten sich mit ihr unterhalten, als sei nichts gewesen, Jeremy hatte sich schon früh und mit einem Kuss auf die Wange von Marie verabschiedet. Unter dem Vorwand, von Kopfschmerzen heimgesucht zu werden, zog sie sich schon früh in ihr Zimmer zurück. Als sie sich auf das knarzende Metallbett sinken ließ, riss Marie freudig
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