Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
verstehen sicher, dass ich meinen Verlobten fragen muss.«
Isbels Lächeln verschwand. »Natürlich.«
»Ich werde mein Möglichstes tun, um ihn zu überzeugen«, sagte Marie bestimmt. »Schließlich will ich meine Ausbildung nicht wegwerfen. Sie sind doch auch verheiratet, nicht wahr?«
Isbel wirkte immer noch ein bisschen geknickt. »Ja, das bin ich, und recht glücklich. Da ich ein Mann bin, brauche ich allerdings kein Einverständnis.«
»Ich werde es bekommen«, versprach Marie. »Irgendwie.«
»Das hoffe ich sehr«, entgegnete Isbel, dann legte er ihr vorsichtig die Hände auf die Schultern. »Gehen Sie es aber langsam an. Lassen Sie Ihrem Verlobten Zeit. Es bringt nichts, es übers Knie zu brechen.«
»Ich werde mir auf dem Heimweg die beste Taktik zurechtlegen. Wenn es irgendwie geht, werde ich Ihr Angebot annehmen.«
»Ich halte Ihnen die Stelle eine Woche lang frei, Miss Blumfeld, auch wenn sich inzwischen jemand anderes melden sollte. Aber ich glaube, das geschieht nicht – seit einem Vierteljahr hat sich kein Bewerber gemeldet. Sie schickt der Himmel, und ich bete, dass Sie unsere Rettung sein dürfen.«
Auf dem Rückweg rempelte Marie unabsichtlich mehrere Leute an, weil sie kaum auf die Straße achtete. Eine Entschuldigung murmelnd, hin und wieder auch auf Deutsch, lief sie weiter und verfehlte nur knapp den Zaun eines Hauses.
Wie soll ich es ihnen beibringen?, fragte sie sich umso verzweifelter, je näher sie Stellas Haus kam. Sie ahnte, was Jeremy sagen würde – und wenn nicht er, dann seine Tante. Gewiss würde sie ihr vorhalten, dass es sich für eine Frau nicht schickte, arbeiten zu gehen.
Beim Abendessen herrschte Schweigen am Tisch. Während Stella und Rose damit beschäftigt schienen, Marie beim Essen nicht aus den Augen zu lassen, wirkte Jeremy ein wenig abwesend. Marie dagegen ignorierte die Blicke der Frauen und die Versunkenheit ihres Verlobten und wälzte in ihrem Verstand Isbels Angebot herum.
Wie wunderbar wäre es, wieder zu unterrichten! Dann wäre sie nicht ständig den Blicken von Jeremys Verwandten ausgesetzt, und sie würde auch nicht wieder zufällig Zeuge irgendwelcher Spekulationen ihre Person betreffend werden müssen. Gewiss würde das dem Verhältnis zu ihrer neuen Familie sehr zuträglich sein. Doch wie sollte sie es Jeremy und ihren Gastgeberinnen beibringen?
Lustlos stocherte sie an dem wirklich gut aussehenden und köstlich duftenden Steak herum, bis sie schließlich genug Mut zusammengenommen hatte.
»Ich würde gern wieder meinem alten Beruf nachgehen«, begann Marie zögernd.
Auf einmal klirrte etwas laut. Stella war die Gabel aus der Hand gefallen, während sie sie anstarrte, als hätte sie ihnen verkündet, dass sie von einem Indianer schwanger war.
Auch Jeremy wirkte alles andere als begeistert, aber das hatte sie auch nicht erwartet.
»Liebes, in welchem Beruf willst du denn arbeiten?«, fragte Stella, die offenbar nichts über Maries frühere Betätigung wusste.
»In Deutschland war ich Lehrerin, bevor ich mich entschloss auszuwandern.« Das Herz schlug ihr bis zum Hals, doch auch die Übelkeit, die sie überkam, konnte sie nicht davon abhalten weiterzureden. »Ich habe heute zufällig Mr Isbel von der örtlichen Schule getroffen, und als ich mich als Verlobte des hiesigen Reverends vorstellte, kamen wir ins Gespräch.«
Dass es nicht ganz so war, brauchte Jeremy nicht zu wissen.
»Er beklagte den Verlust seines Kollegen, also habe ich ihm meine Hilfe angeboten, wie es sich für eine gute Christin gehört. Er hat mir daraufhin eine Stelle angeboten.«
»Du bist meine Verlobte«, meldete sich Jeremy ruhig zu Wort. »Du hast es nicht nötig, arbeiten zu gehen.«
In Maries Brust zog sich etwas zusammen. Ich soll also dazu verdammt sein, während der Zeit bis zur Hochzeit in diesem Haus herumzuhocken und unter der Beobachtung von Stella zu stehen? Der glühende Zorn, der augenblicklich ihr Herz erfüllte, wurde aber sogleich wieder von ihrem Verstand bezwungen. Du bist kein kleines Kind mehr, das zornig mit dem Fuß stampft, wenn es etwas nicht bekommt!, rief sie sich zur Ordnung.
»Es schickt sich nicht für eine Frau, arbeiten zu gehen!«, sprang Stella ihrem Neffen bei.
»Warum sollte es sich nicht schicken?«, fragte Marie beherrscht. »In Deutschland arbeiten viele Frauen. Und auch hier habe ich schon Frauen arbeiten gesehen. Als Personal und in den Läden …«
»Aber das ist doch wohl kaum die richtige Beschäftigung für die Frau
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