Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
hintergründig lächelnd nach ihrem Weinglas griff. Dass sie dabei zu Stella blickte, war gewiss kein Zufall.
Marie fragte sich, ob die beiden Frauen, die altersmäßig gar nicht so weit voneinander entfernt waren, einst miteinander um Georges Gunst gerungen hatten.
Als der Hausherr schließlich durch die Tür trat und sich an seinen Platz setzte, an dem bereits die Suppe auf ihn wartete, sagte Sophia: »Miss Blumfeld hat uns gerade etwas über ihren Aufenthalt bei den Wilden erzählt. Höchst interessant!«
»Wie sind Sie denn an die Wilden geraten?«, fragte George, während er seine Serviette auf dem Schoß ausbreitete. »Sie werden doch sicher keinen Ausflug dorthin unternommen haben.«
»Nein, auf dem Weg hierher wurde mein Treck überfallen. Krieger der Cree haben mich gefunden und zu ihrer Medizinfrau gebracht, die mich kuriert hat.«
»Und was haben Sie im Lager gesehen?«
Marie berichtete über das Leben und die indianische Heilkunst, ließ aber Stellen weg, von denen sie glaubte, dass der Mann sie entweder nicht verstand oder sie lächerlich fand. Mit der Ankunft der Pelzhändler und ihrer Abreise endete die Erzählung schließlich.
»Sie haben es noch recht gut getroffen, Miss«, bemerkte George, während er mit einem Stück Brot die Reste der Suppe auftunkte. »Ich kenne ganz andere Geschichten von den Cree. Sie sollen nicht zimperlich mit ihren Gegnern sein, und es hat auch etliche Übergriffe auf Weiße gegeben, als diese sich hier niederlassen wollten.«
Marie spürte, dass alle Augen nun auf ihr lagen. »Nun, ich kann nur das berichten, was ich selbst erlebt habe«, entgegnete sie beherrscht. »Diese Menschen wirkten auf mich recht friedlich, aber natürlich weiß ich nichts über ihr Verhalten in Kriegszeiten. Sie haben da gewiss mehr Erfahrung, nicht wahr?«
George musterte sie kauend, was aber wohl nur überspielen sollte, dass er auf ihre Frage keine Antwort geben konnte.
»Glücklicherweise musste George selbst noch nie einem dieser Krieger gegenüberstehen«, fiel Sophia ein. »Aber Augenzeugenberichte können Sie sich in Selkirk viele anhören. Einige Veteranen des Indianerkrieges leben noch, habe ich mir sagen lassen.«
Marie entging nicht, dass George seine Gattin wütend anfunkelte.
»Wenn ich die Gelegenheit dazu finde, werde ich mich mit ihnen mal unterhalten«, entgegnete sie lächelnd und griff nach ihrem Weinglas.
Das Thema Cree war für den Rest des Abendessens beendet. Sophia, Stella und Rose unterhielten sich über das zurückliegende Frühlingsfest und den bevorstehenden Sommerball, den die Bellamys, eine der einflussreichsten Familien nach der des Bürgermeisters, geben würden.
»Es steht außer Frage, dass ihr ebenfalls eingeladen werdet«, meinte Sophia. »Die ganze Stadt ist bereits neugierig auf Jeremys Braut. Ihr müsst ihr aber unbedingt ein schöneres Kleid anziehen als das heutige.«
Marie errötete. Was konnte sie dafür, dass Rose ihr diesen alten Fetzen gegeben hatte!
Auch Stella wirkte peinlich berührt. »Wie du weißt, sind wir noch in der Trauerzeit.«
»Aber das Mädchen dort hat seine Schwiegermutter gar nicht gekannt, faktisch ist sie nicht mal ihre Schwiegermutter, weil die beiden noch nicht verheiratet sind. Wozu sollte sie also trauern?« Sophia wandte sich huldvoll an Marie. »Liebes, sollten Sie kein Geld haben, leihe ich Ihnen gern eine meiner Roben. Ich habe mir ein paar neue aus Frankreich kommen lassen, die garantiert noch niemand zu Gesicht bekommen hat. Sie wollen doch einen guten Eindruck machen, oder?«
»Natürlich.« Marie räusperte sich verlegen. Es war schon ein komisches Gefühl gewesen, Allisons Kleid anzunehmen, doch Sophias Angebot bereitete ihr größtes Unbehagen. Ausschlagen konnte sie es allerdings nicht. »Vielen Dank für Ihr Angebot«, setzte sie höflich hinzu, überlegte aber gleichzeitig, wie viel von ihrem Gehalt sie einsetzen müsste, um sich ein passables Kleid zu nähen.
»Ich denke, wir sollten jetzt eine Runde durch den Garten machen. Was meinst du, George?«
Der Hausherr schreckte aus seiner Betrachtung Maries auf. »Wie du meinst, meine Liebe.«
Der im englischen Stil angelegte Garten empfing sie mit berauschendem Rosenduft. Ihre satte grüne Pracht verdankten die Stauden und Büsche einem ausgeklügelten Bewässerungssystem, das von einem prächtigen Brunnen gespeist wurde. Das Plätschern der Fontäne mischte sich mit dem sanften Rascheln der Blätter ringsum.
Marie versuchte sich vorzustellen, wie
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