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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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mich los!« Marie stemmte sich gegen seine Schultern.
    »Mit Vergnügen, doch Sie sollen wissen, dass ich bei einer Frau wie Ihnen sehr gern für Jeremy einspringe, sollte sich herausstellen, dass er die ehelichen Pflichten doch nicht zu Ihrer Zufriedenheit erfüllen kann.«
    Diesmal gelang es Marie, sich loszumachen. Wütend funkelte sie George an. »Ich glaube nicht, dass Sie in der Position sind, mir solche Angebote zu machen. Und selbst wenn, würde ich sie nicht annehmen.«
    Als sie herumwirbelte, spürte sie Georges spöttischen Blick zwischen ihren Schulterblättern. So aufrecht wie nur möglich eilte sie zur Treppe und presste dabei die Lippen zusammen, um ja keinen Fluch auszustoßen.
    Den Rest des Abends verbrachte Marie schweigend auf dem Sofa neben Rose. Stellas weinseliges Geplapper zog an ihr ebenso vorbei wie Sophias pflichtschuldige Fragen. In Gedanken ging sie den Tag noch einmal durch und verharrte bei den wirklich glücklichen Momenten. Sie war dankbar, dass sich George unter dem Vorwand, noch Arbeit erledigen zu wollen, bereits zurückgezogen hatte. So konnte er sie nicht mehr mit anzüglichen Blicken traktieren.
    Was seine Frau wohl zu seinem Angebot mir gegenüber sagen würde?, dachte Marie finster. Keine zehn Pferde bringen mich mehr hierher! Beim nächsten Mal schütze ich Kopfschmerzen vor oder vielleicht Übelkeit, damit Stella wieder vermuten kann, ich sei schwanger!
    Als es Zeit zum Aufbruch wurde, verabschiedete sich Marie höflich von Sophia, wich ihren neugierigen Blicken allerdings aus und eilte so schnell wie möglich nach draußen. Rose hatte glücklicherweise alle Hände voll zu tun, ihre Mutter zu stützen, sodass sie nicht bemerkte, dass Marie regelrecht aus dem prächtigen Haus floh.
    In der Kutsche herrschte Schweigen, denn kaum hatte sich das Gefährt in Bewegung gesetzt, sank Stellas Kopf auf Roses Schulter. Rose selbst starrte in Gedanken versunken in die Nacht.
    Erleichtert atmete Marie auf. Hoffentlich dauerte es eine ganze Weile, bis sie wieder eingeladen würden. Diesem Wüstling wollte sie nicht so bald wieder unter die Augen treten.
    Im Jahr 1870 brach der Krieg über uns herein. Auch unser kleines Dorf blieb nicht verschont, wenngleich wir die Folgen eher indirekt zu spüren bekamen. Die Lebensmittel wurden rationiert; wer Kontakte zu Bauern hatte, war besser dran als die Stadtbewohner. Überall wurde dazu aufgerufen, Gold für Eisen zu spenden. Auch mein Vater trug sich mit dem Gedanken, ein paar Stücke meiner Mutter wegzugeben, für eine Ehrenplakette.
    Es hieß, das Geld käme den Soldaten zugute, doch mein Verstand war damals bereits ausgeprägt genug, dass ich verstand, welchen Sinn diese Spenden wirklich hatten.
    »Damit bezahlen sie den Krieg, nicht wahr?«, fragte ich meinen Bruder, der mich entsetzt ansah. »Und es geht immer so weiter, solange ihnen nicht das Geld ausgeht.«
    »Du vergisst, die Soldaten kämpfen für unser Land«, entgegnete Peter, doch ich konnte ihm ansehen, dass er genauso dachte wie ich. Die Stunden, die er mit Vater zusammen verbrachte, trieben es ihm nur aus zu sagen, was er wirklich dachte.
    »Ich möchte nicht, dass Mutters Schmuck versetzt wird«, sagte ich leise. Früher hätte ich mich an ihn gekuschelt, aber seit ich kurz davor stand, eine Frau zu werden, tat ich das nicht mehr.
    »Du wirst nichts dagegen unternehmen können«, gab Peter zurück. »Der Schmuck gehört Vater. Und offenbar liegt ihm nichts mehr am Andenken unserer Mutter.«
    »Aber mir liegt etwas daran!«, platzte ich heraus, lauter und heftiger, als ich eigentlich wollte. »Ich will nicht, dass Mutter vergessen wird. Dass ihr Schmuck dazu verwendet wird, Menschen zu töten. Das hätte sie ganz bestimmt nicht gewollt.«
    Peter presste die Lippen zusammen, als müsste er die Worte zurückhalten, damit Vater oder sonst jemand, der uns schaden könnte, sie nicht hörte.
    »Lass es gut sein«, sagte er schließlich und zog mich in seine Arme. »Es bringt nichts, gegen Vater aufzubegehren. Ihm gehört der Schmuck, und wenn er ihn spenden will, dann tut er das, das weißt du.«
    Ja, das wusste ich.
    »Behalte Mutter in deinem Herzen. Was da aufbewahrt wird, kann dir niemand nehmen.«
    Von diesen Worten ließ ich mich trösten, bis eines Tages Kriegsversehrte in unser Dorf kamen. Abgerissene Gestalten mit zerfetzten Uniformen und teilweise schrecklichen Verstümmelungen. Zweien fehlte jeweils ein Bein, einem beide Arme, und von dem Gesicht des vierten waren nur noch

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