Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
gestärkter Schürze, das die Suppe auftrug.
»Das ist Kürbissuppe«, erklärte Sophia stolz. »Sie fragen sich vielleicht, woher wir schon Kürbisse haben, wo doch der Indian Summer noch weit ist.«
Obwohl sie sich diese Frage nicht gestellt hatte, nickte Marie.
»Nun, wir betreiben seit zwei Jahren mit Erfolg ein Gewächshaus, um den Küchengarten ein wenig aufzustocken. Während die Kürbisse auf dem Feld gerade erst wachsen, habe ich schon reife Exemplare in meinem Gewächshaus. Natürlich können sie sich in der Größe nicht mit den Freilandexemplaren messen, dafür haben sie einen konzentrierteren Geschmack.«
Das konnte Marie nur bestätigen, als sie einen Löffel von der Suppe nahm. Noch nie hatte sie solch eine Kürbissuppe gegessen! Froh darüber, dass nun Stille am Tisch einkehrte, gab sie sich ganz dem Genuss hin.
Der zweite Gang bestand aus einem Braten, der mit Trockenobst und Gemüse gefüllt war. Die dazu gereichten Süßkartoffeln waren für Marie ein wenig ungewohnt, aber nach ein paar Bissen fand sie Gefallen an dem Geschmack.
»Also, wie war das mit den Wilden, bei denen Sie gelandet sind?«, fragte Sophia, als sie ihr Besteck ablegte und dem Butler signalisierte, dass der nächste Gang kommen konnte. »Ich finde das furchtbar aufregend. Sie müssen uns ausführlich davon erzählen.«
Marie schilderte ihren Aufenthalt so sachlich wie möglich, schmückte hier und da ein wenig aus und deutete schließlich auf das Bild, das schon vorhin ihren Blick angezogen hatte. »An einem See wie diesem haben wir gestanden und der Sonne zugesehen, wie sie baden ging. Es ist verblüffend, wie leicht sich das menschliche Auge vom Licht täuschen lässt.«
Schritte ließen Marie innehalten.
»Was riecht denn hier so köstlich?«, rief eine kräftige Männerstimme.
»Dein beinahe verpasstes Abendessen, George!«, entgegnete Sophia lachend.
Der Anblick des Hausherrn, der in Reitkleidung durch die Tür trat, überraschte Marie nach allem, was sie gesehen hatte, nicht sonderlich.
George Woodbury war ein hochgewachsener, gut aussehender Mittvierziger, der sich seiner Wirkung auf andere Menschen durchaus bewusst war, wie seine selbstbewusste Haltung bewies. Mit seinem dichten dunkelbraunen Haar und den blauen Augen hatte er früher sicher viele Mädchenherzen dahinschmelzen lassen.
Lächelnd ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, bis er schließlich bei Marie angelangt war.
»Ah, ein unbekanntes Gesicht in der Runde!«
»Das ist Miss Blumfeld, Jeremys Verlobte.«
»Vom Auswanderertreck?«
Marie zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Woher wissen Sie das?«
»Ihr Name klingt nicht, als käme er aus der Gegend. Deutsche sind in diesem Landstrich recht selten.« Woodbury lächelte sie vielsagend an. Marie wurde unwohl, als sie bemerkte, dass sich hinter seinen Augen mehr Wissen verbarg, als ihr lieb sein konnte. »Dann sind Sie wohl auch die neue Lehrerin, von der man in der Stadt spricht.«
Marie zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Man spricht von mir? Aber ich hatte doch heute erst meinen ersten Tag!«
Stellas verstimmtes Räuspern entging ihr nicht. Offenbar hatte sich Jeremys Tante noch nicht damit abgefunden, dass seine Verlobte arbeiten ging.
»Neuigkeiten sprechen sich sehr schnell rum in Selkirk. Eigentlich sind wir nichts anderes als ein ziemlich großes Dorf.«
Marie wurde nun klar, dass er auch die vorherigen Informationen irgendwoher bekommen haben musste. Hatte er sich mit James Isbel unterhalten? Bevor sie fragen konnte, wandte sich George Stella und Rose zu. »Und ihr beide – so hübsch wie immer! Wie schade, dass ich schon vergeben bin!«
Stella kicherte wie ein Schulmädchen, während Rose tiefrot wurde.
»Wenn die Damen mich noch für einen Moment entbehren können, ich muss mich nach diesem Tag unbedingt ein wenig frisch machen.«
Stille herrschte, nachdem er den Raum verlassen hatte. Rose kämpfte noch immer mit dem Erröten, während Stella mit zitternder Hand nach ihrem Weinglas griff. Marie lächelte still in sich hinein. Es war offensichtlich, dass beide Frauen für George Woodbury schwärmten. Sie selbst fand ihn durchaus attraktiv, aber in ihren geheimen Mädchenträumen waren Männer wie er nicht aufgetaucht.
»Mein Mann ist ein ziemlicher Charmeur, nicht wahr, Miss Blumfeld?«
»Das ist er«, gab Marie zu. »Sicher liegen ihm sämtliche Frauenherzen der Stadt zu Füßen.«
»Das würde ich nicht für ausgeschlossen halten«, gab Sophia zu, während sie
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