Das Lied des Achill
mich zu.
»Was ist?« Mit ihrem Handgelenk fühlt sie meine Stirn. »Bist du krank? Geht es Achill gut?« Ich schäme mich zutiefst. Aber Selbstmitleid ist jetzt fehl am Platz. Sie kommen.
»Es ist etwas passiert«, sage ich mit schwerer Zunge. »Achill hat heute zu den Männern gesprochen und sie darüber aufgeklärt, dass Apoll die Seuche über uns gebracht hat.«
»Wie wir es bereits geahnt haben.« Sie nickt, nimmt meine Hände und versucht, mich zu trösten. Ich muss mich zwingen, fortzufahren.
»Aber Agamemnon wollte nichts davon hören. Er und Achill haben miteinander gestritten. Agamemnon will ihn bestrafen.«
»Ihn bestrafen? Wie?«
Es scheint, als würde sie mir die Antwort vom Gesicht ablesen. Sie erstarrt. »Sprich!«
»Er hat Männer losgeschickt. Um dich zu holen.«
Ich sehe, wie sie in Panik gerät, obwohl sie sich zu beherrschen versucht. Ihre Finger umklammern meine Hand. »Was passiert jetzt?«
Ich wähne mich in einen Alptraum versetzt und hoffe, gleich aufzuwachen und erleichtert aufzuatmen. Doch es geschieht nicht, es ist die Realität: Er wird ihr nicht helfen.
»Er –« Es verschlägt mir die Sprache.
Mehr zu sagen ist nicht nötig. Sie krallt die rechte Hand in ihr Gewand, das nach der schweren Arbeit abgenutzt und verschlissen ist. Stammelnd versuche ich, sie zu trösten, indem ich verspreche, dass wir sie zurückholen und alles gut werden wird. Doch das sind Lügen. Wir beide wissen, was Agamemnon mit ihr vorhat. Auch Achill weiß es und lässt es dennoch geschehen.
Ich wünsche mir Erdbeben, Vulkanausbrüche und Sintfluten herbei. Nur sie können sich mit meiner Wut und Trauer messen. Ich will, dass die Welt in Scherben zerbricht.
Draußen schmettern Hörner. Brisëis wischt sich die Tränen von der Wange. »Geh«, flüstert sie. »Bitte.«
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Z wei Männer kommen mit langen Schritten über den weiten Sandstrand auf uns zu. Obwohl noch weit entfernt, leuchten ihre Gewänder in den Farben Agamemnons, verziert mit heraldischen Insignien. Ich kenne beide. Es sind Talthybios und Eurybates, die Boten des Königs von Mykene, bekannt für ihre Diskretion und dafür, dass Agamemnon ihnen größtes Vertrauen schenkt. Hass verschnürt mir die Kehle. Ich wünschte, sie fielen tot um.
Sie nähern sich, passieren unsere Wachposten, die drohend ihre Waffen rasseln lassen. Bis auf zehn Schritte herangekommen, bleiben sie stehen. Vielleicht hoffen sie, rechtzeitig fliehen zu können, sollte Achill die Beherrschung verlieren. Ich male mir aus, wie er über sie herfällt und ihnen das Genick bricht, auf dass ihnen die Köpfe schlaff herabhängen wie bei erlegten Kaninchen.
Sie grüßen stammelnd, treten verlegen auf der Stelle und wagen es nicht, den Blick zu heben. Dann: »Wir sind gekommen, um das Mädchen in Gewahrsam zu nehmen.«
Achill antwortet ihnen, kalt, beherrscht und mit spöttischem Unterton, um seine Wut zu zähmen. Ich weiß, er gibt sich den Anschein von Großmut und Gelassenheit. Er gefällt sich in der Pose des jungen Mannes, der ruhig erträgt, dass man ihm Unrecht tut, und so sollen ihn alle sehen. Ich höre meinen Namen, worauf sich die Blicke der beiden auf mich richten. Ich soll Brisëis holen.
Sie erwartet mich bereits. Ihre Hände sind leer. Sie nimmt nichts mit sich. »Es tut mir leid«, flüstere ich. Sie sagt nichts, kein schon gut; es wäre auch gelogen. Ich spüre die süße Wärme ihres Atems, als sie sich zu mir hinüberbeugt. Ihre Lippen streifen meine Wange. Dann tritt sie an mir vorbei und geht.
Talthybios und Eurybates nehmen sie in ihre Mitte und zerren sie, bei den Armen gepackt, mit sich, offenbar darauf bedacht, möglichst schnell das Weite zu suchen. Sie wirft einen Blick über die Schulter zurück. Die verzweifelte Hoffnung in ihren Augen zerreißt mir das Herz. Ich schaue Achill an, möchte, dass er hinsieht und sich eines Besseren besinnt. Doch er tut es nicht.
Schnellen Schrittes verlassen sie das Lager. Bald kann ich sie von den anderen dunklen Gestalten am Strand nicht mehr unterscheiden.
»Wie konntest du sie gehen lassen?«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Seine Miene ist unergründlich. »Ich muss mit meiner Mutter sprechen«, sagt er.
»Dann geh«, fauche ich.
Ich schaue ihm nach. Meine Handflächen schmerzen, wo sich die Fingernägel eingegraben haben. Ich kenne diesen Mann nicht, denke ich voller Wut auf ihn. Das werde ich ihm nicht verzeihen können. Am liebsten würde ich unser Zelt
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