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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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vergeht.« Seine Stimme ist immer noch flach und ohne Ton. »Oder vom Thron stürzen und in die Wüste jagen. Die Männer hätten mich verehrt wie einen Gott.«
    »Ich weiß«, bestätige ich.
    Es wird bedrohlich still zwischen uns. Ich bin darauf gefasst, dass er mich anschreit oder schlägt. Aber er schaut mich nun an, endlich.
    »Ihre Sicherheit für meine Ehre. Bist du zufrieden mit diesem Tausch?«
    »Der Verrat an Freunden ist nicht ehrenhaft.«
    »Seltsam, dass ausgerechnet du in diesem Zusammenhang von Verrat sprichst.«
    Seine Worte schmerzen unerträglich. Ich zwinge mich, an Brisëis zu denken. »Ich wusste keinen anderen Rat.«
    »Du hast dich für sie entschieden«, sagte er. »Gegen mich.«
    »Gegen deinen Stolz.« Ich verwende das Wort Hybris, das für himmelschreiende Überheblichkeit steht, für Besessenheit und Frevel.
    Er ballt die Hände zu Fäusten. Vielleicht wird er mich jetzt schlagen.
    »Ich lebe für meinen Ruf«, sagt er mit stockendem Atem. »Mehr bleibt mir nicht, und ich werde bald sterben. In Erinnerung zu bleiben ist alles, worauf ich hoffen kann.« Er schluckt krampfhaft. »Du weißt das und lässt trotzdem zu, dass Agamemnon diesen Ruf zunichtemacht. Du hilfst ihm sogar dabei.«
    »Das tue ich nicht«, entgegne ich. »Aber ich möchte, dass du als der erinnert wirst, der du bist, und nicht als irgendein Tyrann, über den Tod hinaus berüchtigt für seine Grausamkeiten. Es gibt andere Möglichkeiten, Agamemnon büßen zu lassen. Die solltest du ergreifen, und dabei helfe ich dir. Aber was du heute getan hast, rechtfertigt keinen Ruhm.«
    Er wendet sich wieder ab und schweigt. Ich starre auf seinen Rücken, zähle die Falten seines Hemdes, jeden Sandkrümel auf seiner Haut.
    Als er wieder spricht, klingt seine Stimme erschöpft und matt. Es scheint, dass auch er mich nicht hassen kann. Wir sind wie feuchtes Holz, das sich nicht entzünden lässt.
    »Hast du es geschafft? Ist sie in Sicherheit? So wird es wohl sein, sonst wärst du nicht zurückgekehrt.«
    »Ja. Sie ist in Sicherheit.«
    Er seufzt. »Du bist ein besserer Mann als ich.«
    Ich schöpfe Hoffnung. Wir haben einander Schmerzen zugefügt, doch sie werden abklingen. Brisëis bleibt verschont, Achill erinnert sich an seinen Auftrag, und mein Handgelenk wird verheilen. Schon bald werden sich andere Sorgen einstellen.
    »Nein«, entgegne ich. Ich gehe auf ihn zu und lege ihm meine Hand auf die Schulter. »Das stimmt nicht. Du warst heute nicht du selbst, doch nun bist du zurückgekehrt.«
    Er hebt die Schultern und lässt sie ausatmend sacken. »Sag das nicht, ehe du weißt, was ich sonst noch getan habe.«

Siebenundzwanzigstes Kapitel
    A uf dem Webteppich in unserem Zelt liegen drei kleine Steine, die wahrscheinlich unter Sandalen gesteckt haben und so mit hereingebracht worden sind. Ich hebe sie auf, um etwas zu haben, woran ich festhalten kann.
    »Ich werde nicht länger für ihn kämpfen«, sagt er, und seine Stimme klingt erfrischt. »Immer wieder versucht er, meinen Ruhm zu schmälern, Schatten auf mich zu werfen und mich in Zweifel zu stürzen. Er kann es nicht ertragen, dass ein anderer höher geachtet wird als er. Aber er muss es lernen. Er wird erfahren, was sein Heer wert ist ohne den Aristos Achaion .«
    Ich spüre, wie er in Wallung gerät. Es ist, als zöge ein Sturm herauf, dem man schutzlos ausgeliefert ist.
    »Die Griechen werden scheitern, und er wird gezwungen sein, mich anzuflehen, es sei denn, er zieht es vor zu sterben.«
    Ich erinnere mich, wie er ausgesehen hat, als er zu seiner Mutter ging. Wild, wie im Fieber. Ich stelle mir vor, wie er vor ihr niederkniete, vor Wut geweint und mit den Fäusten auf die vom Wasser umspülten Felsen geschlagen hat. Er sei gedemütigt und entehrt worden, hat er ihr wahrscheinlich gesagt. Man hätte seinen unsterblichen Ruhm in Gefahr gebracht.
    Sie hört ihm zu, streicht in Gedanken versunken mit der Hand über den langen, weißen Hals und nickt. Sie hat eine Idee, einen göttlichen Einfall, der Rache verspricht, und erklärt ihm, was zu tun ist. Er hört auf zu weinen.
    »Wird er es tun?«, fragt Achill seine Mutter. Er meint Zeus, den König der Götter, dessen Haupt von Wolken umkränzt ist und der mit seiner Faust Blitze schleudert.
    »Ja«, antwortet Thetis. »Er steht in meiner Schuld.«
    Zeus, stets auf Ausgleich bedacht, wird dafür sorgen, dass die Griechen geschlagen und aufs Meer zurückgedrängt werden, damit sie am Ende erkennen, an wen sie sich mit ihren

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