Das Lied des Achill
davonrennen. Doch die Trojaner sind tapfere Männer, und nicht alle suchen ihr Heil in der Flucht.
Vielleicht ist es die Rüstung, die mich gleichsam anders formt; vielleicht liegt es daran, dass ich ihn viele Jahre lang habe beobachten können. Jedenfalls fällt meine alte Unbeholfenheit von mir ab. Und dann, ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, was ich tue, schleudere ich einen Speer in die Brust eines Trojaners. Die Fackel, die er auf Idomeneus’ Schiff hatte werfen wollen, gleitet ihm aus der Hand, als er rücklings in den Sand stürzt. Ob er verblutet oder sich den Schädel aufschlägt, sehe ich nicht mehr. Tot, denke ich.
Automedon hat die Augen weit aufgerissen und bewegt die Lippen. Vermutlich will er mich an Achills Mahnung erinnern, nur ja nicht in den Kampf einzugreifen, doch schon greife ich zum zweiten Speer. Ich kann es . Die Pferde scheren aus, Männer springen aus unserer Bahn. Wieder empfinde ich deutlich jenes Gefühl von Stärke und Balance. Ich fasse einen Trojaner in den Blick, werfe und spüre den Schaft am Daumen entlanggleiten. Er fällt, am Schenkel aufgespießt von meinem Speer, der ihm, woran kein Zweifel bestehen kann, den Knochen zerschlagen hat. Um mich herum schreien die Männer den Namen Achills.
Ich packe Automedon bei der Schulter. »Einen weiteren Speer.« Er zögert einen Moment, zügelt dann das Gespann und gibt mir Gelegenheit, über den Rand des Wagens hinauszugreifen und einen Speer zu bergen, der in einem gefallenen Krieger steckt. Der Schaft scheint mir in die Hand zu springen. Ich hebe ihn und suche schon mein nächstes Ziel.
Die Griechen gehen zum Sturmangriff über. Neben mir tötet Menelaos einen Mann, während einer von Nestors Söhnen mit dem Speer auf unseren Streitwagen schlägt, um uns Glück zu wünschen, bevor er ihn in Richtung Kopf eines trojanischen Prinzen schleudert. Die Trojaner weichen zurück, darunter Hektor, der, Befehle brüllend, auf seinen Streitwagen springt, um ihn durchs Tor, über die schmale Brücke über dem Graben und aufs weite Feld dahinter zu lenken.
»Auf! Ihnen nach!«
Obwohl er sich sträubt, gehorcht Automedon und lenkt die Pferde zum Ausgang des Lagers. Ich sammele weitere Speere ein, schleppe dabei manchen Leichnam hinter uns her, ehe sich die Spitze löst, und jage dem Feind nach, dessen Streitwagen das Tor blockieren. Deren Lenker werfen entsetzte Blicke über die Schulter zurück auf Achill, der aus seiner grollenden Verbitterung auferstanden ist wie Phönix aus der Asche.
Nicht alle Gespanne sind so schnell und wendig wie das von Hektor, und etliche Wagen stürzen von der Brücke in den Graben, sodass ihre Lenker zu Fuß fliehen müssen. Wir setzen ihnen nach. Achills göttliche Pferde fliegen dahin. Wir könnten umkehren, denn die Trojaner sind zurückgeschlagen. Aber die Griechen hinter uns brüllen meinen Namen. Seinen Namen. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten.
Auf meinen Befehl hin lenkt Automedon den Wagen im Bogen vorbei an den fliehenden Haufen, um ihnen von vorn zu begegnen. Meine Speere treffen und treffen wieder, reißen Bäuche und Kehlen auf, Lungen und Herzen. Ich kenne kein Erbarmen und finde mein Ziel an Schnallen und bronzenen Platten vorbei ins Fleisch, das aufplatzt wie löchrige Weinschläuche. Aus meiner Arbeit im weißen Zelt kenne ich die Schwachstellen. Es ist so leicht.
Aus der wild wogenden Menge bricht ein Streitwagen hervor. Sein Lenker ist riesig, und seine langen Haare fliegen im Wind, als er die schäumenden Rosse voranpeitscht. Die dunklen Augen sind auf mich gerichtet, der Mund ist wutverzerrt. Wie einem Seehund das Fell passt ihm der Panzer. Es ist Sarpedon.
Er hebt den Arm und zielt mit dem Speer auf mein Herz. Automedon reißt die Zügel herum. Ich spüre einen Lufthauch im Nacken und sehe den Speer hinter uns ins Feld einschlagen.
Sarpedon brüllt; ob er mich verflucht oder zum Kampf herausfordert, kann ich nicht unterscheiden. Ich glaube zu träumen und hebe meinen Speer, voller Wut auf den Mann, der so viele Griechen getötet und unseren Palisadenzaun eingerissen hat.
»Nein!« Automedon hält meinen Arm zurück, während er mit der freien Hand die Pferde antreibt. Sarpedon wendet seinen Wagen, und es scheint, dass er aufgibt. Doch dann wirft er das Gespann wieder herum und holt mit einem weiteren Speer zum Wurf aus.
Plötzlich bäumt sich eins unserer Pferde auf. Ich werde aus dem Wagen geschleudert und lande im Gras. Der Helm ist mir über die Augen gerutscht. Ich
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