Das Lied des Achill
schreiend über die Decks, verzweifelt bemüht, das Feuer zu löschen. Der Einzige, den ich erkenne, ist Ajax. Er steht breitbeinig im Bug von Agamemnons Schlachtschiff, die massigen Schultern gestrafft. Er achtet nicht auf die Flammen und sticht mit seinem Speer auf die Feinde ein, die unter ihm wie hungrige Fische das Schiff umwimmeln.
Starr vor Entsetzen sehe ich plötzlich eine Hand über das Gewühl hinauslangen und den Steven ergreifen, dann den Arm, kräftig und dunkel, schließlich den Kopf und den breitschultrigen Rumpf, der sich einem Delfin gleich aus der brodelnden Menge emporschwingt. Hektor. Seine braun gebrannte Gestalt windet sich aus dem Wasser und scheint darüber zu schweben, die Augen gen Himmel gerichtet – ein Mann im Gebet, in Zwiesprache mit den Göttern. Die Rüstung hebt sich mit den Schultern und entblößt seine Hüfte, deren Beckenknochen dem gemeißelten Gesims eines Tempels gleichen. Mit der anderen Hand schleudert er eine brennende Fackel aufs Deck.
Der Wurf ist gut platziert und landet inmitten spröder Seile und gefalteter Segel, die sofort Feuer fangen. Hektor lächelt. Und wer kann es ihm verdenken, wähnt er sich doch siegreich?
Ajax brüllt vor Wut, ein weiteres Schiff steht in Flammen, einzelne Männer springen in Panik von Bord.
Und plötzlich surrt ein Speer durch die Luft, silbrig blinkend wie ein Fisch und so schnell, dass ihm das Auge kaum folgen kann. Gleich darauf verfärbt sich Ajax’ Schenkel rot. Ich habe lange genug in Machaons Zelt gearbeitet, um die Schwere der Verletzung ermessen zu können. Er schwankt, knickt in den Knien ein und sackt auf die Planken.
Dreißigstes Kapitel
A chill sieht mich kommen. Ich renne so schnell, dass ich Blut auf der Zunge schmecke. Ich weine, meine Brust bebt, und die Kehle brennt. Er würde nun gehasst werden. Niemand würde sich an seinen Ruhm, seinen Edelmut oder seine Schönheit erinnern und alles, was ihn auszeichnet, würde in den Schmutz gezogen werden.
»Was ist passiert?«, fragt er, die Brauen besorgt zusammengezogen. Weiß er es wirklich nicht?
»Sie sterben«, stoße ich hervor. »Alle. Die Trojaner sind im Lager, sie brennen die Schiffe nieder. Ajax ist verwundet, und es gibt jetzt außer dir keinen mehr, der sie retten könnte.«
Seine Miene verhärtet sich. »Wenn sie sterben, trägt Agamemnon die Schuld daran. Ich habe ihn gewarnt.«
»Aber er hat dir doch gestern ein Friedensangebot gemacht –«
Er schnaubt verächtlich. »Ja, ein Paar Dreifüße und Rüstzeug, aber nichts, was seine Beleidigung wiedergutmachen könnte, ebenso wenig hat er eingestanden, Unrecht an mir getan zu haben.« Seine Stimme zittert vor Wut. »Odysseus, Diomedes und all die anderen mögen ihm die Stiefel lecken, ich aber werde es nicht tun.«
»Er ist ein Scheusal.« Ich klammere mich wie ein kleines Kind an ihm fest. »So empfinden alle. Du darfst nicht länger an ihn denken. Er wird, wie du schon gesagt hast, sich selbst vernichten. Aber lass die anderen nicht für seine Fehler büßen. Lass sie nicht sterben wegen seinem Wahn. Sie haben dich geliebt und hoch geachtet.«
»Mich hoch geachtet? Keiner hat mir im Streit mit Agamemnon den Rücken gestärkt oder Partei für mich ergriffen.« Die Bitterkeit seiner Stimme quält mich. »Sie haben schweigend seine Beleidigungen mit angehört und ihm damit das Gefühl gegeben, im Recht zu sein. Zehn Jahre lang habe ich für sie gekämpft. Und was ist der Lohn? Sie lassen mich fallen. Sie haben ihre Wahl getroffen, und ich weine ihnen keine Träne nach.«
Unten am Strand stürzt krachend ein Mast. Der Rauch wird dichter. Immer mehr Schiffe stehen in Flammen. Weitere Griechen sterben. Man würde ihn jetzt verfluchen und in die dunkelsten Winkel unserer Unterwelt verbannen wollen.
»Ja, sie waren töricht, aber sie sind immer noch unser Volk.«
»Die Myrmidonen sind unser Volk. Alle anderen sollen sich selbst helfen.« Er schickt sich an, zu gehen, doch ich halte ihn fest.
»Du schadest dir selbst und wirst für deine Weigerung gehasst werden. Bitte, wenn du –«
»Patroklos.« In dieser Schärfe hat er mich noch nie bei meinem Namen genannt. Er durchbohrt mich mit seinen Blicken und spricht wie ein Richter, der sein Urteil verkündet. »Ich werde es nicht tun. Verlange es nicht noch einmal von mir.«
Ich starre ihn an und finde keine Worte mehr, die ihn hätten erreichen können. Vielleicht gibt es sie nicht. Mein Mund ist trocken wie der graue Sand. Ich sehe das Ende vor Augen. Die
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