Das Lied des Achill
so einfach sein, wie er glaubt. Die Moiren versprechen Ruhm, aber wie viel? Er muss auf seine Ehre achtgeben und ist doch zu vertrauensselig. Die Männer Griechenlands«, sie spuckte die Worte aus, »sind wie Hunde, die um einen Knochen kämpfen. Sie gönnen einander keinen Vorrang. Ich werde tun, was ich kann. Und du –« Sie betrachtete mich geringschätzig vom Scheitel bis zur Sohle. »Bring keine Schande über ihn. Verstanden?«
Verstanden?
»Ja«, antwortete ich. Ich verstand sehr wohl. Wenn er mit dem Leben dafür zahlte, musste sein Ruhm über die Maßen groß sein. Ein Lufthauch setzte den Saum ihres Gewandes in Bewegung, und ich wusste, dass sie gleich verschwinden und in ihre Meeresgrotte zurückkehren würde.
»Ist Hektor ein guter Kämpfer?«, fragte ich mit dem Mut der Verzweiflung.
»Der beste«, antwortete sie. »Nach meinem Sohn.«
Sie schaute zur Seite, wo die Klippe senkrecht abfiel. »Er kommt«, sagte sie.
Achill kletterte über den Rand und setzte sich zu mir. Er schaute mir ins Gesicht und musterte meine aufgeschürften Hände und Füße. »Ich habe dich reden hören«, sagte er.
»Ich sprach mit deiner Mutter«, entgegnete ich.
Er kniete sich vor mich hin und legte meinen Fuß in seinen Schoß, zupfte vorsichtig die Steinsplitter aus den Wunden und wischte den Schmutz ab. Dann riss er ein Stück Stoff aus dem Saum seines Rocks und legte einen Verband an.
Meine Hand schloss sich um seine. »Du darfst Hektor nicht töten«, sagte ich.
Er schaute mich an. Sein schönes Gesicht war gerahmt von goldenen Haaren. »Meine Mutter hat dir gesagt, was prophezeit wurde.«
»Ja, das hat sie.«
»Und du meinst, dass niemand außer mir Hektor töten kann?«
»Ja«, antwortete ich.
»Du glaubst, dass man dem Schicksal Zeit stehlen kann?«
»Ja.«
»Aha.« Er schmunzelte durchtrieben. »Warum sollte ich ihn töten? Er hat mir schließlich nichts getan.«
Zum ersten Mal seit langem keimte Hoffnung in mir auf.
Am Nachmittag brachen wir auf. Es gab keinen Grund, länger zu verweilen. Lykomedes verabschiedete uns in aller Form, wie es seine Art war, und wir standen eine Weile betreten beieinander. Odysseus und Diomedes waren schon vorausgegangen. Sie wollten uns nach Phthia zurückbringen, damit Achill dort seine eigenen Truppen aufstellen konnte.
Es galt noch etwas auf der Insel in Ordnung zu bringen. Ich wusste, dass Achill sich dabei nicht sehr wohl fühlte.
»Lykomedes, meine Mutter lässt dir einen Wunsch ausrichten.«
Die Lippen des Alten fingen zu zittern an, aber er hielt dem Blick seines Schwiegersohnes stand. »Bezüglich des Kindes«, sagte er.
»Ja.«
»Und was wünscht sie?«, fragte der König.
»Dass sie es ist, die ihn aufzieht. Sie –« Achill stockte angesichts der Miene des Alten. »Das Kind wird ein Junge sein, sagt sie. Sie will ihn an sich nehmen, sobald er entwöhnt ist.«
Schweigen. Lykomedes schloss die Augen. Ich wusste, er dachte an seine Tochter, die nicht nur auf den Mann, sondern auch auf ihr Kind würde verzichten müssen. »Ich wünschte, du wärst nie zu uns gekommen«, sagte er.
»Es tut mir leid«, erwiderte Achill.
»Geht«, flüsterte der Alte. Wir gehorchten.
Das Schiff, mit dem wir segelten, war wendig und schnell, seine Mannschaft bestens ausgebildet. Die Leinen schienen gerade erst gedreht worden zu sein, die Masten waren so frisch wie lebendiges Holz. Der weit über das Wasser hinausragende Steven hatte die Gestalt einer Frau, deren Hände wie in Anbetung vor der Brust aneinandergelegt waren. Sie war wunderschön mit ihrem ebenmäßigen Gesicht und dem schlanken Hals, der unter fliegenden schwarzen Haaren zum Vorschein kam, zudem prächtig bemalt in fein aufeinander abgestimmten Farbtönen.
»Wie ich sehe, bewunderst du meine Frau.« Odysseus war zu uns an die Reling getreten und stützte sich auf seinen muskulösen Unterarmen ab. »Sie war dagegen und hat sich geweigert, dem Künstler Modell zu stehen. Er musste sie heimlich abbilden, doch das Ergebnis ist, wie ich finde, gut gelungen.«
Eine Vermählung aus Liebe war in unseren Breiten so selten wie Zedern im Osten des Landes. Fast hätte ich ihn deswegen gemocht. In letzter Zeit allerdings lächelte er für meinen Geschmack zu häufig.
»Wie ist ihr Name?«, erkundigte sich Achill höflich.
»Penelope«, antwortete er.
»Ist das Schiff neu?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln.
»Ganz und gar, bis zum letzten Balken. Übrigens aus dem besten Holz, das Ithaka zu bieten hat.« Mit
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