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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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seiner großen Hand tätschelte er die Reling wie die Flanke eines Pferdes.
    »Na, gibst du wieder an mit deinem neuen Kahn?« Diomedes hatte sich zu uns gesellt. Seine Haare waren mit einem Lederband im Nacken zusammengefasst, was seine Gesichtszüge noch schärfer wirken ließ.
    »Du hast mich ertappt.«
    Diomedes spuckte ins Wasser.
    »Der König von Argos ist heute ungewöhnlich beredt«, kommentierte Odysseus.
    Im Unterschied zu mir kannte Achill die Sticheleien der beiden noch nicht. Irritiert blickte er von einem zum anderen und verzog dann den Mund zu einem Schmunzeln.
    »Wie erklärt sich eigentlich, dass du so überaus gewitzt bist?«, setzte Odysseus nach. »Liegt’s womöglich daran, dass dein Vater das Gehirn eines Mannes gegessen hat?«
    »Wie bitte?« Achill schien seinen Ohren nicht zu trauen.
    »Kennst du etwa nicht die Geschichte des mächtigen Tydeus, bekannt auch als Verzehrer von Menschenhirn?«
    »Ich habe von ihm gehört. Aber dass er Gehirne …«
    »Ich spiele mit dem Gedanken, unsere Teller mit einer Abbildung dieser Szene zu schmücken«, sagte Diomedes.
    Noch in der Burg hatte ich Diomedes für Odysseus’ Schoßhund gehalten. Doch der spitzzüngige Schlagabtausch und die Art, wie die beiden miteinander umgingen, konnten so nur zwischen Gleichgestellten stattfinden. Außerdem erinnerte ich mich, dass Diomedes angeblich auch ein Liebling von Athene war.
    Odysseus verzog das Gesicht. »Lade mich bitte nie nach Argos zum Essen ein.«
    Diomedes lachte, was alles andere als angenehm klang.
    Den beiden war offenbar danach zumute, miteinander zu plaudern, und so erzählten sie eine Geschichte nach der anderen: von Seereisen, Kriegen und lange zurückliegenden Wettkämpfen. Achill war ein aufmerksamer Zuhörer und stellte immer wieder Fragen.
    »Wie ist es dazu gekommen?«, wollte er wissen und deutete auf die Narbe auf Odysseus’ Wade.
    »Tja«, sagte der und rieb sich die Hände, »das ist eine Geschichte, die sich zu erzählen lohnt. Allerdings sollte ich vorher ein paar Worte mit dem Schiffsführer wechseln.« Er deutete auf die Sonne, die schon tief über dem Horizont stand. »Wir werden bald vor Anker gehen.«
    »Ich gehe.« Diomedes stieß sich von der Reling ab. »Diese leidige Geschichte habe ich mindestens schon ebenso oft gehört wie die mit dem Bett.«
    »Dein Pech, dass du sie dir nicht noch einmal anhörst«, rief ihm Odysseus nach. »Ihr dürft ihm nichts verübeln«, sagte er, an uns gerichtet. »Seine Frau ist ein Schreckgespenst und macht aus jedem Mann einen Griesgram. Meine Frau hingegen –«
    »Ich schwöre«, brüllte Diomedes über die gesamte Länge des Decks hinweg, »wenn du noch ein Wort hinzufügst, werfe ich dich über Bord, und du kannst nach Troja schwimmen.«
    »Seht ihr?« Odysseus schüttelte den Kopf. »Ein Griesgram.« Achill lachte. Er hatte Gefallen an den beiden und schien ihnen seine Demaskierung verziehen zu haben.
    »Was wollte ich noch erzählen?«
    »Wie es zu der Narbe gekommen ist«, sagte Achill.
    »Ah ja, die Narbe. Ich war dreizehn Jahre alt –«
    Die Sonne senkte sich auf den Horizont, und das Schiff glitt in den Schatten einer Landzunge, wo wir die Nacht verbringen wollten. Der Anker wurde gesetzt und ein Lager am Strand errichtet.
    Als unser Zelt aufgebaut und ein kleines Feuer entzündet war, kam Odysseus und erkundigte sich, ob alles zum Besten stehe.
    »Durchaus«, sagte Achill und lächelte auf seine freimütige, ehrliche Art. »Danke der Nachfrage.«
    Auch Odysseus lächelte und zeigte weiße Zähne hinter seinem dunklen Bart. »Ausgezeichnet. Dass eine Zelt reicht euch hoffentlich. Ihr scheint alles miteinander zu teilen, Tisch und Bett, wie man hört.«
    Mir schoss das Blut ins Gesicht, und ich hörte, wie meinem Freund der Atem stockte.
    »Dafür braucht ihr euch doch nicht zu schämen. Unter jungen Burschen ist das häufig der Fall.« Er kratzte sich nachdenklich am Bart. »Nun ja, von jungen Burschen kann bei euch ja eigentlich nicht mehr die Rede sein. Wie alt seid ihr?«
    »Das ist nicht wahr«, erwiderte ich hitzig und überlaut.
    Odysseus krauste die Stirn. »Wahr ist, was gemeinhin angenommen wird. Aber vielleicht irren sich die Leute, die das von euch behaupten. Wenn euch die Gerüchte stören, lasst sie einfach hinter euch zurück, wenn wir in den Krieg ziehen.«
    Achill entgegnete gereizt: »Kümmere dich um deine eigenen Belange, Prinz von Ithaka.«
    Odysseus hob beide Hände. »Verzeiht, wenn ich euch brüskiert habe. Ich

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