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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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dieses Rauschen. Zuerst dachte ich, es rührte von den Wellen her oder dem Schiff, das sie durchschnitt. Doch es wurde mit jedem Ruderschlag lauter, und dann wurde deutlich, dass es Stimmen waren, die immer und immer wieder riefen: Prinz Achill! Aristos Achaion!
    Als unser Schiff am Strand auflief, flogen Hunderte von Händen in die Luft, und aus Hunderten von Kehlen schallte Jubel. Alle anderen Geräusche und die Kommandos der Seeleute wurden übertönt. Wir konnten kaum fassen, was wir hörten und sahen.
    Es war vielleicht dieser Moment, der unserem Leben die entscheidende Wendung gab. Weder am Pelion noch auf Skyros, sondern hier wurde uns die erhabene Größe Achills bewusst, die man von nun an und bis in alle Ewigkeit an ihm bewunderte. Er war schon jetzt eine Legende, und doch war es erst der Anfang. Er zögerte, und ich ergriff seine Hand, so dass es das Volk nicht sehen konnte. »Geh«, drängte ich ihn. »Sie warten auf dich.«
    Unter lautem Hurrageschrei stieg Achill mit zum Gruß erhobenen Armen auf die Laufplanke. Ich fürchtete schon, die Menge würde das Schiff stürmen, doch die Soldaten hielten sie auf Abstand und machten den Weg frei für ihn.
    Achill wandte sich mir zu und sagte etwas, was ich zwar nicht hörte, aber trotzdem verstand. Komm mit mir . Ich nickte und folgte ihm. Auf beiden Seiten drängten die Menschen auf die Phalanx der Soldaten ein. Am Ende der Schneise wartete Peleus auf uns. Sein Gesicht war feucht, und er machte keine Anstalten, die Tränen abzuwischen. Er zog Achill an seine Brust, umarmte ihn und ließ ihn so bald nicht wieder los.
    »Unser Prinz ist zurückgekehrt!« Seine Stimme klang tiefer, als ich sie in Erinnerung hatte, und übertönte die Menge, die sogleich verstummte.
    »Vor euch allen heiße ich meinen geliebten Sohn, den Erben meines Königreichs, von Herzen willkommen. Er wird euch in seiner Herrlichkeit nach Troja führen und im Triumph wieder heimkehren.«
    Obwohl die Sonne vom Himmel herabbrannte, durchfuhr mich ein eiskalter Schauer. Er wird nicht heimkehren . Doch das konnte Peleus noch nicht wissen.
    »Er, das Kind der Götter, ist zum Mann gereift. Zum Aristos Achaion .«
    Die Soldaten schlugen mit den Schwertern auf ihre Schilde, Frauen kreischten, Männer johlten. Mir fiel auf, dass sich Achill in die Brust warf und den Kopf höher trug als sonst. Er beugte sich zu seinem Vater hin und flüsterte ihm etwas ins Ohr, was ich nicht hörte. Ein Streitwagen wartete auf uns. Wir bestiegen ihn und fuhren, von der Menschenmenge gefolgt, zum Palast.
    Dort angekommen, umschwirrten uns Höflinge und Sklaven. Man gab uns zu essen und zu trinken, was wir im Stehen verzehrten, denn bald ging es weiter in den Palasthof, wo zweitausendfünfhundert Männer auf uns warteten. Als sie uns sahen, erhoben sie zum Gruß ihre quadratischen Schilde. Gerade dies war für mich vielleicht das Seltsamste: dass er all diese Männer anführen sollte. Er würde einen jeden bei seinem Namen kennenlernen und seine Geschichte erfahren. Er gehört nicht mehr mir allein .
    Ob er nervös war, konnte selbst ich nicht erkennen. Ich sah, wie er sie begrüßte und Worte sagte, die bewirkten, dass alle die Schultern strafften. Sie glänzten und bestaunten ihren sagenhaften Prinzen, seine leuchtenden Haare, die tödlichen Hände und flinken Füße. Sie neigten sich ihm zu wie Blumen der Sonne und weideten sich an seinem Glanz. Es war, wie Odysseus vorhergesagt hatte. Seine Strahlkraft würde aus ihnen allen Helden machen.
    Wir waren fortan nicht mehr allein. Ständig wurde nach ihm verlangt. Er sollte dies und jenes in Augenschein nehmen, in Sachen Proviant entscheiden und die Einberufungslisten absegnen, und es galt, zahllose Fragen zu beantworten. Er versuchte, all diesen Dingen gerecht zu werden, und verkündete schließlich: »Was sonst noch zur Vorbereitung des Feldzugs zu tun ist, überlasse ich den erfahrenen Händen von Phoinix, dem Berater meines Vaters.« Ich hörte eine Sklavin hinter mir seufzen. Sie war hübsch und anmutig.
    Ihm war klar, dass ich hier wenig ausrichten konnte. Ich sah es seiner Miene an, wenn er mich anschaute. Er stellte sicher, dass auch ich die Tafeln und Pläne sehen konnte, und fragte mich häufig nach meiner Meinung. Dennoch fühlte ich mich zurückgesetzt und ließ es ihn spüren.
    Für mich gab es kein Entrinnen. Durch alle Fenster drangen die Geräusche der Soldaten, die große Worte machten, exerzierten und die Speerspitzen schärften. Sie nannten sich jetzt

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