Das Lied des Achill
seinen Platz in den Reihen zuzuweisen. Ein heikles Unterfangen, dem die Gefahr der Rebellion innewohnte. Allein der Gedanke daran schien Agamemnon zu erzürnen, und seine Stimme wurde harscher. Es war einer seiner vielen Fehler: Je prekärer seine Lage wurde, desto unbeliebter machte er sich.
»Menelaos und ich werden selbstverständlich die Spitze bilden.«
Wie befürchtet, fingen viele zu murren an, doch Odysseus übertönte alle und sagte: »Sehr weise, König von Mykene. So werden die Boten euch leichter finden.«
»Genau.« Agamemnon nickte, als habe ihn ebendieser Gedanke zu seiner Entscheidung bewogen. »Zur Linken meines Bruders wird der Prinz von Phthia marschieren, zu meiner Rechten Odysseus. Die Flügel bilden Diomedes und Ajax.« Die gefährlichsten Positionen waren damit besetzt, jene Stellen, die auf die größere Gegenwehr treffen würden und um jeden Preis gehalten werden mussten. Es waren daher die wichtigsten und besonders angesehenen.
»Über die Stellung der anderen Truppen entscheidet das Los.« Als sich das Gemurmel gelegt hatte, stand Agamemnon auf. »Das war’s. Morgen brechen wir auf, sobald es hell wird.«
Die Sonne ging schon unter, als wir uns auf den Weg zurück in unser Lager machten. Achill schien zufrieden zu sein. Ihm war ein vorderster Platz in der Rangordnung eingeräumt worden, ohne dass er sich dafür hätte stark machen müssen. Weil es noch zu früh zum Essen war, bestiegen wir den grasigen Hügel hinter unseren Zelten, den ein lichter Wald krönte. Von dort schauten wir über das Heereslager und die See dahinter. Das abnehmende Licht schimmerte in seinen Haaren, und der Abendschein versüßte seinen Ausdruck.
Seit dem ersten Schlagabtausch vor der Küste brannte mir eine Frage unter den Nägeln, die ich bislang noch nicht hatte stellen können.
»Hältst du sie für Tiere? Wie dein Vater es dir geraten hat?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
Über unseren Köpfen segelten kreischende Möwen. Ich versuchte, ihn mir beim morgigen ersten Überfall vorzustellen.
»Hast du Angst?«, fragte ich. In den Bäumen hinter uns schlug eine Nachtigall.
»Nein«, antwortete er. »Für das, was mir bevorsteht, bin ich geboren worden.«
Am frühen Morgen weckte mich das Rauschen der Brandung vor Trojas Küste. Achill schlief noch. Um ihn nicht zu stören, verließ ich das Zelt. Der Himmel war wolkenlos wie am Vortag. Noch stand die Sonne hinterm Horizont, und auf dem Meer lagen graue Schatten.
In weniger als einer Stunde würde der Vorstoß beginnen. Ich war im Gedanken daran eingeschlafen und mit ihm wieder aufgewacht. Wir hatten verabredet, dass ich nicht mitmarschierte. Ein Großteil würde zurückbleiben. Die Raubzüge waren Sache des Königs und einiger weniger Fürsten, die es sich nicht nehmen lassen wollten, als Erste den Feind zu stellen. Es würde Achills erster richtiger Kampf um Leben und Tod sein.
Zwar hatte es am Vortag schon einen ersten Schlagabtausch gegeben, jedoch mit einigem Abstand voneinander. Kein Blut war zu sehen gewesen, und die Männer waren gefallen wie Spielsteine, ohne dass man ihre Gesichter oder Schmerzen erkannt hätte.
Achill trat aus dem Zelt. Er war bereits angezogen, setzte sich neben mich und nahm sein Frühstück zu sich. Wir sagten wenig.
Ich fand für meine Gedanken und Gefühle keine Worte. Unsere Welt war eine von Gewalt und der durch sie gewonnenen Ehre. Nur Feiglinge kämpften nicht. Für einen Prinzen gab es keine Wahl. Man musste kämpfen und siegen oder kämpfen und sterben. Sogar Cheiron hatte ihm einen Speer zukommen lassen.
Phoinix hatte die Truppen bereits aufgestellt, die Achill begleiten sollten. Vor dem ersten Einsatz wollten sie die Stimme ihres Anführers hören. Achill stand auf, und ich sah, wie er auf sie zuschritt, wie die Bronzeschnallen seiner Montur blinkten und das dunkle Violett des Umhangs seine Haare so golden wie die Sonne leuchten ließen. Angesichts seiner heldenhaften Erscheinung war kaum zu glauben, dass wir uns noch am Abend zuvor über unsere Käseplatten hinweg mit Olivenkernen bespuckt und uns köstlich amüsiert hatten, als er mit einem Kern, an dem noch Reste von Fruchtfleisch hingen, in mein Ohr traf.
Er sprach zu den Männern und schwenkte seinen über den Kopf erhobenen Speer, dessen Spitze so grau war wie Stein oder die stürmische See. Mir taten die anderen Fürsten leid, die um ihre Anführerschaft hatten kämpfen müssen und sie mit kläglichen Gesten zu behaupten versuchten. Achills
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