Das Lied des Dunklen Engels
wurde in der Feme immer schwächer. Corbett und Ranulf standen an der Weggabelung und fingen an zu frieren, obwohl sie versuchten, sich warmzuhalten.
Schließlich kam Maltote zurück.
»Da ist ein kleiner Weiler. Ich habe einen der Bauern gefragt.« Der Bote deutete mit der Hand. »Das hier ist die Straße nach Bishop’s Lynn. Sollen wir weiterreiten, Herr?«
Corbett nickte. Überraschenderweise hielt er nicht in dem Weiler an, sondern ignorierte die Proteste seiner Begleiter und ritt nach Bishop’s Lynn weiter. Der Nebel wurde dichter und kälter. Er legte sich wie eine kalte Hand um sie, und Corbett fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Eine Weile lang stöhnte Ranulf noch lautstark, aber schließlich brachten die Dunkelheit und die eisige Kälte auch ihn zum Schweigen. Er hing über den Hals seines Pferdes und zog seine Kapuze und seinen Umhang in mürrischer Resignation enger um sich. Schließlich erreichten sie Bishop’s Lynn. Corbetts Beine waren ohne jedes Gefühl. Er war nicht in Stimmung, sich mit den Stadtwächtern zu streiten, die bereits die Ausgangssperre ausgerufen und die Stadttore geschlossen hatten. Ranulf hielt ihnen ihre Vollmachten unter die Nase und schrie sie wütend an, und eine kleine Nebentür wurde eilig geöffnet. Einer der Wächter führte sie die St. Nicholas Street entlang zur größten Schenke der Stadt, Lattice House, an der Ecke Chapel Street. Ein weiteres Mal trumpfte Corbett mit seinen Vollmachten, dieses Mal um Ställe für ihre Pferde und Zimmer für sich und seine Gefährten zu requirieren. Sie entkleideten sich und wuschen sich mit dampfend heißem Wasser. Es wurde von einem Diener heraufgebracht, der noch ganz verschlafen war. Als sie saubere Kleider angelegt hatten, gingen sie in den Schankraum, um etwas zu essen. Sie waren alle drei zu erschöpft, um sich zu unterhalten, und die Schüsseln mit heißem Stew und das dickflüssige Ale aus dem Ort machten sie so schläfrig, daß ihnen beinahe die Augen zufielen. Sie gingen zu ihren Zimmern zurück und warfen sich auf ihre Betten.
Sie schliefen alle lang. Corbett erwachte ausgeruht. Er spürte die Strapazen des vergangenen Tages kaum, abgesehen einmal davon, daß seine Knie etwas steif waren. Sie frühstückten. Maltote kontrollierte in den Ställen, ob die Pferde gestriegelt worden waren, und brachte ihre schmutzigen Kleider auf Corbetts Anweisung hin ins Waschhaus der Schenke. Der Wirt, der sich von diesen wichtigen Gästen ein gutes Geschäft versprach, hatte ihnen in Aussicht gestellt, daß seine Diener sie waschen würden. »Maltote kann hierbleiben«, entschied Corbett. »Ranulf, wir beide gehen zur Gilde.«
»Was interessiert uns dort, Herr?«
»Als erstes die Wählerliste. Ich möchte sehen, ob es immer noch irgendwelche Nachfahren Holcombes in Bishop’s Lynn gibt.«
»Was noch?«
»Ein Müller, der Culpeper heißt und dessen Tochter unlängst in Hunstanton ermordet wurde.«
Sie verließen die Schenke, nicht ohne eine Nachricht für Maltote zu hinterlassen. Dann gingen sie die St. Nicholas Street entlang zum Gildehaus, das gegenüber der St. Margaret’s Church mit den hohen Türmen lag. Ein Gerichtsdiener stellte sich ihnen in den Weg. Corbett erklärte, wer sie seien, und nach wenigen
Minuten erschien ein übereifriger Ratsherr und bot ihnen jede Hilfe an.
»Ja, ja«, murmelte der Mann mit wichtiger Miene. »Wir haben Steuerregister, Wählerregister und Register über Beihilfen. Wenn es einen Holcombe gibt werdet Ihr ihn dort finden.«
»Und der Müller Culpeper?«
»Oh, den kennt jeder. Ihr werdet ihn jedoch nicht bei seiner Mühle treffen.« Der Ratsherr deutete auf die dicke Stundenkerze in ihrem Halter. »Er wird am Kai sein, in der Nähe vom Zollhaus, und die Beladung der Barken überwachen. Sie bringen das Mehl stromabwärts.«
Corbett überließ es Ranulf, die Register durchzugehen.
»Vergiß den Goldschmied Edward Orifab nicht«, sagte er noch. Dann ging er die Purfleet Street entlang zum Kai. Nach der Stille von Mortlake Manor fand er die Stadt sehr laut. Bishop’s Lynn erinnerte ihn mit seinen engen Gassen, Häusern, die in die Straßen ragten, und mit den Rufen der Händler, die hinter ihren buntbemalten Ständen standen, an London. Die Schreie der Kinder, die hinter den rumpelnden Karren hersprangen, wetteiferten mit Pferdegewieher und den Rufen der Viehtreiber. Der üble Geruch der offenen Kloaken tat dem Feilschen und Schachern an den geschäftigen Marktständen
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