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Das Lied des Dunklen Engels

Das Lied des Dunklen Engels

Titel: Das Lied des Dunklen Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul C. Doherty
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keinen Abbruch. Die Schenken und Alehouses machten ein glänzendes Geschäft, denn es war Markttag. Die Bauern aus den umliegenden Dörfern waren alle in die Stadt gekommen, um ihre Erzeugnisse feilzubieten und um einzukaufen, bevor die Schneefälle die Straßen unpassierbar machten.
    Das Wetter war sehr gut geworden. Ein wolkenloser Himmel lag über den Straßen und Gassen, die immer noch sehr naß von den Regenfällen des Vortages waren. Corbett mußte aufpassen, wo er hintrat, als er sich einen Weg durch die Menge zum Kai von Purfleet bahnte. Schließlich kam er ans Flußufer. An den Landungsbrücken lagen die unterschiedlichsten Schiffe dicht an dicht. Kleine Boote zum Heringsfang, Fischerboote mit Deck, Handelsschiffe und sogar eine große bauchige Kogge, die der Hanse gehörte. Der Geruch von Salz, Fisch und Gewürzen lag schwer in der Luft, und Fuhrleute, Hafenbeamte, Kaufleute und Seeleute drängten sich am Pier. Händler boten alles feil, angefangen von bunten Bändern bis hin zu heißen Pies. Ihre Rufe und unterschiedlichen Dialekte und Sprachen verwirrten Corbett. Schließlich sah er einen Hafenbeamten, der in einen Umhang aus braunem Barchent gekleidet war und einen weißen Amtsstab trug. Nach weiteren Verhandlungen wurde Corbett zur Green Wyvern Tavern geleitet, die neben dem Zollhaus lag. Hier trafen sich Culpeper und andere Mitglieder seiner Gilde, um Geschäfte zu tätigen. Im Schankraum traf Corbett Culpeper, einen untersetzten und kräftigen Mann mit wäßrigen Augen und blauen Äderchen im Gesicht. Er hatte bereits einiges hinter die Binde gekippt und schwätzte mit seinen Gefährten. Corbett mußte schreien, um sich Gehör zu verschaffen.
    »Ihr hattet eine Tochter, Amelia?«
    Culpeper war sofort nüchtern. Er stellte seinen Krug ab und schob sein Gesicht nahe an das von Corbett heran.
    »Was geht Euch das an?«
    Corbett stellte sich vor, und Culpeper kam schwankend auf die Füße.
    »Ich habe genug getrunken«, murmelte er. »Und hier kann man sich nicht unterhalten.«
    Er führte Corbett zurück auf den Pier und in das hölzerne Zollhaus. Hier ließ er sich auf eine Bank im Vorraum fallen und gab Corbett ein Zeichen, sich neben ihn zu setzen.
    »Ich weiß, daß es noch früh ist«, sagte er mit undeutlicher Stimme, »aber heute ist Markttag, und der Preis für Mehl ist gestiegen.« Er schaute Corbett mit blutunterlaufenen Augen an. »Ein Mann muß sich gelegentlich selbst belohnen und die Vergangenheit vergessen.«
    »Was müßt Ihr vergessen, Master Culpeper?«
    »Eine Tochter, die Amelia hieß. Sie war unser einziges Kind. Ich gab ihr alles - schöne Kleider, Schmuck, was man sich nur denken kann - nichts war für sie zu gut. Aber sie war stur.« Culpeper wandte sich ab und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich bin nach Hunstanton geritten, um ihre Leiche zurückzuholen. Ihre Mutter wollte das. Jetzt haben wir die Vergangenheit begraben, und so soll es auch bleiben.«
    »Wißt Ihr, warum sie ermordet worden ist?«
    »Das weiß der Himmel! Oder zumindest sollte er das wissen. Wer würde der armen Amelia etwas zuleide tun, wer, Master Corbett? Welch ein Tod, wie eine Ratte an diesem einsamen, fürchterlichen Galgen zu hängen!«
    »Warum habt Ihr sie nach Hunstanton ziehen lassen?«
    Der Mann, den Aledünste umwehten, holte tief Luft und legte seine fetten Hände auf die Schenkel.
    »Ich hatte keine Wahl. Amelia war hier erledigt. Alles lachte über sie, eine Schande für ihre Familie! Jemand nannte sie einmal >gebraucht<. Könnt Ihr Euch das vorstellen, Master Corbett? Ein hübsches Mädchen, das wie ein dreckiger Lappen weggeworfen wird?«
    Corbett schwieg. Er hatte eine Ahnung, was jetzt kommen würde. Müller waren nicht beliebt, weil Müller nicht arm waren. Diese Handwerker und Handelsleute erregten immer den Neid derer, die ihre Erzeugnisse kaufen mußten.
    »Amelia wurde schwanger«, erklärte Culpeper. »Vielleicht vor zehn, zwölf Jahren.«
    »Und der Vater?«
    »Wir erfuhren nie etwas über ihn. Amelia sprach nie über ihn.«
    »Hand aufs Herz, Ihr habt wirklich nie etwas über ihn erfahren?«
    »Nein, es war immer ein großes Geheimnis. Ihr kennt die Spiele junger Frauen, die sich in Liebe verzehren? Sie sagte immer, sie würde Freunde oder Verwandte besuchen.« Culpeper blinzelte.
    »Jedenfalls wurde Amelia schwanger, sagte jedoch niemandem wer der Vater war. Das Kind wurde geboren, starb aber Tage später. Amelia verlor jede Lebenslust. Sie hatte nicht nur ihr Kind

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