Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
recht daran, Frau Alyss. Geschmäht hat man mich, beleidigt hat man mich, mit Schmutz beworfen hat man mich!«
Wild fuhrwerkten die Hände des Mannes in der Luft herum.
»Das ist alles sehr bedauerlich, hat aber nichts mit mir zu tun. Darum muss ich Euch bitten, den Hof zu verlassen.«
»Ich bleibe, Frau Alyss. Ich setze mich auf Eure Schwelle. Und ich gehe nicht eher, als bis Ihr mir den Schaden ersetzt habt.«
»Welchen Schaden? Das Salz, sagt Ihr selbst, ist Gold wert.«
»Das Salz schon. Aber in den Fässern war mehr als zwei Drittel Sand, Frau Alyss. Und das ist Eure Schuld.«
Alyss schüttelte, allmählich ungeduldig, den Kopf.
»Ich habe diese Fässer nie gesehen, Ambrosio. Arndt van Doorne hat sie von seiner Reise mitgebracht.«
»Ganz genau, ganz genau. Und darum schuldet Ihr mir den Wert dieser vermaledeiten Fässer.«
Voller Empörung trat der Pfandleiher von einem Bein auf das andere.
»Nein, das tue ich nicht.«
»Doch, doch, ja, ja. Ihr seid die Erbin des wohledlen Herrn. Ihr führt seine Geschäfte weiter. Ihr müsst seine Schulden begleichen.«
»Folgt mir, Ambrosio.«
Alyss ging gemessenen Schrittes zu ihrem Kontor, der Pfandleiher trippelte eifrig hinter ihr her, offensichtlich noch immer in der Hoffnung, von ihr die geforderte Summe zu erhalten. Im Kontor klappte Alyss das Schreibpult auf und holte ein gesiegeltes Dokument hervor.
»Ihr seid des Lesens mächtig, Ambrosio?«
Der plusterte sich auf und beteuerte mit einer Hand auf dem Herzen, dass er diese Kunst vollendet beherrsche.
»Dann lest.«
Sie rollte das Pergament auf und hielt es ihm vor die Nase.
Er stümperte sich halblaut durch die ersten Zeilen, dann ging ihm offensichtlich auf, um was es sich handelte.
»Brautschatzfreiung?«
»Genau, ganz genau. Ja, ja«, antwortete Alyss mit ausdrucksloser Stimme.
»Was heißt das? Was … was …?«
»Dass ich nicht für die Schulden meines verschwenderischen Gatten zu haften habe. Der Rat der Stadt Köln hat diesem meinem Ansinnen schon vor über einem Jahr stattgegeben. Es wäre also Eure Pflicht und Achtsamkeit gewesen, meinem betrügerischen Gemahl auf die Finger zu schauen, statt ihm leichtsinnig Geld für verdorbene Ware zu überlassen. Und nun verschwindet, Ihr raubt mir meine Zeit, Ambrosio.«
Sie rollte das Dokument wieder zusammen und wies mit der Hand zur Tür.
»Aber, aber … aber …«
»Gehabt Euch wohl.«
»Frau Alyss, dieser Verlust! Diese Schande …«
Hände wedelten, Finger falteten sich betend, entflochten sich wieder.
»Bedauerlich, aber helfen kann ich Euch nicht. Was soll ich, bitte, mit salzigem Sand?«
Sie drängte ihn zur Tür, und Hilda, mit einem Grillspieß voller Hühner, stand plötzlich drohend neben ihm.
»Fehlt noch ein schönes dickes«, brummelte sie.
Ambrosio ergriff die Flucht, nicht ohne sie lauthals zu verfluchen.
»Hört denn das nie auf?«, seufzte Alyss.
»Geht in die Küche und nehmt Euch eine Pastete. Sie sind eben aus dem Ofen gekommen. Sind lecker. Lore hat ein Händchen dafür.«
»Später. Eine Weinlieferung muss fertig gemacht werden.«
Peer hatte den Karren bereits beladen und das Pferd angespannt.
»Wo geht die Lieferung hin, Frau Alyss?«
»An die Schafenpforte. Merten hat dort einen Mühlenbesitzer gefunden, der unseren Wein kosten will. Aber der Mann scheint mir nicht zu trauen, er will mich selbst kennenlernen.«
»Aber nicht verkosten.«
»Nein, Peer, gewiss nicht. Ich kann essigsauer werden, sollte er das versuchen.«
Sie stieg neben den alten Handelsknecht auf den Karren, und gemächlich ruckelte die Fuhre durch das Hoftor.
Es war ein schöner Frühlingstag, das junge Laub leuchtete in lichtem Grün, Wäscherinnen mit ihren schweren Körben wanderten zum Rhein hinunter, Mägde schleppten ihre Einkäufe von den Märkten zu den Herrschaftshäusern der Patrizier, Straßenhändler priesen ihre Waren lauthals an, Müßiggänger standen in schwatzenden Grüppchen zusammen, Kinder tollten durch die Gassen. Alles in allem war es ein friedlicher Arbeitstag. Alyss grüßte hier und da Bekannte, hielt sich aber nicht mit Plaudereien auf. Sie verließen die eng bebaute Stadt, hinter der alten Stadtmauer breiteten sich linker Hand die Weingärten von Sankt Aposteln aus, rechts säumten die schmalbrüstigen Häuschen der Obst- und Gemüsebauern die ausgefahrene Straße. Der Karren holperte durch die Fahrspur, und Alyss klammerte sich an ihrem Sitz fest. So weit von ihrem Haus entfernt brachte sie selten ihre
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