Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
fiel er in den Rhythmus der Arbeit und beförderte die Last nach oben. Ein Befehl ließ ihn langsamer werden, der Kran schwenkte nach links, der Ballen schwebte über das Deck der Kogge. Ein neuer Befehl, und er sprang aus dem Rad, zerrte Cedric mit sich. Die Auflader ließen die Last langsam absinken, lösten den Haken und drehten den Kran zurück zum Kai, um den nächsten Ballen festzumachen.
»Rein mit dir!«
Wieder zerrte er Cedric hinter sich und begann mit dem Treten.
Zwei Stunden lang arbeitete er in dem Kran, dann merkte er, dass der Junge am Ende seiner Kräfte angekommen war.
»Ablösung, Joseph«, sagte er leise. Der nickte und winkte zwei der anderen Arbeiter zu sich, die sich feixend eine Pause gegönnt hatten. John nestelte einige Silberstücke aus seinem Beutel und drückte sie dem Kranmeister in die Hand.
»Trinkt ein Bier auf mich, Joseph.«
»Mit Vergnügen, Master John. Ihr seht aus, als könntet Ihr noch bis zum Abend weitermachen, aber dieser Hänfling da, der ist zu nichts nutze.«
»Das wird schon noch. Als mein Lehrling wird er lernen müssen, was harte Arbeit ist. In zwei Jahren bringe ich ihn wieder zu dir, dann hält der volle vier Stunden durch.«
Cedric, der auf einen Tuchballen gesunken war, gab nur ein entsetztes Stöhnen von sich.
John hingegen war zufrieden mit seinem Tagewerk, warf sich die Heuke wieder über und gab Cedric ein Zeichen, ihm zu folgen. Auf wackeligen Beinen trottete der Junge zu ihm.
John vermeinte ein leises »Leuteschinder« zu vernehmen, ignorierte das aber.
So schlecht hatte das verweichlichte Bürschchen sich gar nicht gehalten.
Übermorgen würde das Schiff ablegen, und wenn alles ohne Probleme verlief, sollten sie in zwei Wochen Köln erreicht haben.
Beschwingt schritt John aus.
5. Kapitel
D enise flickte mit zierlichen Stichen ein Tischtuch, und wie es schien, war sie sogar in der Lage, die feine Stickerei auszubessern. Alyss stellte einen Korb mit süßen Wecken auf den Tisch und lobte sie für ihre Arbeit. Denise lächelte zaghaft.
»Besser als Gänse. Tuch zwickt nicht.«
»Lass dir von Lore zeigen, wie man Gog und Magog zähmt, Denise. Du darfst nicht immer schreiend weglaufen, wenn sie auf dich zukommen.«
»Isch ’abe Angst vor sie. Und vor Jennet. Und«, sie schauderte, »vor Malefiz.«
»Jennet hat Angst vor dir. Sie ist früher oft geschlagen worden. Du musst sanft mit ihr sprechen. Aber warum hast du vor dem Kater Angst?«
»Er ist le diable . ’ilda sagt, bringt Unglück, le chat noir .«
»Aber nein, Denise. Malefiz fängt die Mäuse aus der Speisekammer, und manchmal jagt er die Hühner über den Hof. Aber nachts kommt er in mein Bett und schnurrt mich in den Schlaf. Mich macht das sehr glücklich.«
Hilda mochte eine treffliche Haushälterin sein, aber sie war entsetzlich abergläubisch. Schon oft hatte Alyss ihr die Anwendung wunderlicher Rezepturen verbieten müssen, einzig Hildas festen Glauben daran, dass das Osterwasser glücksbringende Eigenschaften in sich trug, duldete sie, ja, sie war sogar zusammen mit den jungen Mädchen am Ostermorgen vor Sonnenaufgang zum Bach gewandert und hatte Krüge mit dem kostbaren Nass gefüllt.
Alle, einschließlich Lore, hatten sie darin gebadet. Zur allgemeinen Belustigung wurden die Planschereien von der scharfschnäbeligen Jungfer mit einem volltönenden Protest begleitet, der den Wortschatz aller Hausbewohner um viele neue, bildhafte Ausdrücke bereichert hatte. Vor allem den von Lucien. Immerhin, so freundete sich der Junge mit der neuen Sprache an. Und Denise, die eben die süßen Wecken beäugte, hatte von Lore auch schon einiges gelernt. Sie lächelte und wies auf das Gebäck: »Käferwecken?«
»Ebendiese. Aber die Käfer sind Rosinen. Das weißt du ja.«
Denise nickte und biss mit Genuss in den weichen Teig.
Alyss verließ die Stube wieder und wollte sich dem Zusammenstellen einer Lieferung Wein widmen, als sie im Hof den rundlichen Pfandleiher vorfand. Er rang die Hände.
»Frau Alyss!«
»Ambrosio di Como!«
»Ihr schuldet mir zehn Gulden für die zwei Fässer Salz, Frau Alyss. Ich bestehe auf prompter Bezahlung.«
»Ich schulde Euch nichts, Ambrosio. Ich bin Weinhändlerin, nicht Salzhändlerin. Wenn es Euch zu lästig ist, in der Salzgasse Eure Ware anzubieten, ist das für mich nicht von Belang.«
»Ich habe das Salz angeboten. Ich habe geredet und gehandelt. Ich musste die Fässer öffnen, weil man einem Pfandleiher nicht traut. Und ja, ja, man tat ja wohl
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