Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Körper an der Rheinvorinsel aus dem Wasser gezogen. Und in Alyss’ Welt war ein Licht erloschen. Sie hatte Luitgard umgehend aus dem Haus geschickt und nie wieder nach ihr gefragt.
War es nicht Gottes Fügung, dass ihr nun dasselbe Schicksal widerfahren war wie dem kleinen Terricus?
Malefiz streifte ihr um die Beine und schnurrte, als sie sich auf die Bank ganz am Ende des Weingartens setzte. Noch war die Laube kahl, der Lavendel grau, die Mauer in ihrem Rücken kühl. Am Spalier aber blühten die Zweige der Apfel- und Birnbäume, und eine Amsel schmetterte ihr volltönendes Frühlingslied in das Himmelsblau.
Die Trauer war noch immer da, sie würde wohl nie vergehen. Aber das Leben hatte ihr Hoffnung geschenkt. Sie sollte nach vorne schauen.
Catrin kam zwischen den Reben auf sie zugeeilt. Ihre Gewänder wogten um sie, ihr Gebende flatterte halb aufgelöst um ihren Kopf.
»Da bist du ja!«
»Ja, hier bin ich.«
Ihre Ziehschwester plumpste neben ihr auf die Bank.
»Dieser Bengel«, schnaufte sie. »Behauptet, dass man sich jedes Pferd ausleihen darf, wenn man dem Besitzer zuruft, dass man es mal eben mitnimmt.«
»Eine burgundische Sitte?«
»Nur in ganz bestimmten Notfällen. Na, er hat seine Strafe bekommen, man ist ziemlich rau mit ihm umgesprungen. Du, und während du im Turm warst, hat hier ein Winzer aus Rodenkirchen vorgesprochen und nach seinem Weib gefragt.«
»Was sollte ein Winzerweib bei mir wollen? Wein verkaufen?«
»So sagt er. Sie ist von zu Hause fortgegangen, und ihre neue Magd hat ihm gesagt, dass sie möglicherweise bei dir vorsprechen wollte.«
»Woher kennt mich diese Winzersfrau?«
»Du kennst sie auch – sie heißt Luitgard und war einmal die Amme deines Sohnes.«
Der Schatten senkte sich wieder über Alyss’ Gemüt.
»Luitgard. Im Turm, Catrin. Sie haben sie gerade eben dorthin gebracht. Tot. Ertrunken. Wie mein Kind.«
»Heilige Mutter Maria.« Catrin fasste ihre Hände und hielt sie fest. »Man muss es ihm sagen.«
»Ja, aber nicht ich werde es tun. Lass mich eine Weile alleine, Catrin. Meine Seelenruhe ist gestört.«
Catrin küsste sie leicht auf die Wange und erhob sich wortlos.
Ihre Ziehschwester hatte sie schon immer gut verstanden.
Alyss schloss die Augen und lauschte dem Lied der Amsel.
Nach einer Weile erfüllte wieder Frieden ihr Gemüt.
Das Leben ging weiter.
4. Kapitel
Z ur selben Zeit stand Master John of Lynne am Kai von London und beobachtete, wie die Tuchballen verladen wurden. Der mächtige Tretkran knarrte, als sich die Last hob. John spürte förmlich die Sparren unter den Füßen, als die Männer in dem Laufrad langsam Schritt um Schritt taten. Auch er hatte einst in der Tretmühle gesteckt, damals, als sein Vater ihm erklärt hatte, dass er ihn nicht mehr als seinen Sohn betrachtete.
Nun war Lord Thomas tot, aber auf dem Sterbebett hatte er seinen Frieden mit John gemacht. Sie waren beide harte Männer, die ihren Willen durchzusetzen gewohnt waren. Vielleicht hätten sie ihren Machtkampf irgendwann aufgegeben und sich wieder einander angenähert – denn es herrschte trotz allem Achtung und Liebe zwischen Vater und Sohn. Wäre da nicht Johns intrigantes Weib Margaret gewesen. Er hatte sie auf Wunsch seiner Mutter geehelicht, diese blasse, blutleere Jungfrau, die sich vor ihrem eigenen Körper ekelte. Mehr noch aber vor dem seinen. Die Ehe war nie vollzogen worden, sein Bett war kalt geblieben, sein Heim eine klösterliche Eishöhle. Auch damit hätte er sich arrangieren können, Frauen mochten ihn und waren gerne bereit, die Leere mit Wärme und Tändelei zu füllen. Aber dann hatte sein hinterhältiges Weib seinen Vater wegen dessen freigeistigen Ansichten an den Bischof Despenser, den fanatischen Ketzerjäger, verraten. Man kerkerte Lord Thomas ein, und in seinem Groll darob gab dieser seinem Sohn John die Schuld an dem Verrat und verstieß ihn. Sein Stolz war alles, was John noch besaß, er bat keinen seiner Verwandten um Hilfe, sondern verdingte sich als Arbeiter im Hafen von London. Hier allerdings war er eines Tages einem deutschen Tuchhändler aufgefallen – Robert van Doorne erkannte seine Fähigkeiten und bot ihm die Teilhaberschaft an seinem Handelsgeschäft an. Freundschaft und Vertrauen war das Fundament ihrer Beziehung – John kannte die Tuchweber seiner Heimat und vermittelte Robert die Stoffe von allerbester Qualität. Ihr Geschäft florierte, und als John eines Abends nach reichlichem Weingenuss von seinem Vater sprach,
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