Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
besuchen.«
»Dann folgt mir, Jungfer Lauryn.«
John bemerkte, dass sie zögerte. Vermutlich hätte sie lieber im Kontor nachgeprüft, ob der sechste Mann dort festgehalten wurde. Er schüttelte sacht den Kopf, und sie hob bedauernd die Schultern.
»Lady Almut wird Euch berichten können, wenn es etwas von Bedeutung gab.«
»Ja, ist gut.«
John schlug den Weg zu dem großen Arbeitsraum ein, und als er an der offenen Tür stand, sah er den Herrn des Hauses hinter seinem Pult sitzen und Marian am Fenster stehen.
»Ich grüße Euch, My Lord!«, sagte er und trat ein. »Jesaja sagt: ›Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen werden, dass der Gestank von ihren Leichnamen aufsteigen wird und die Berge von ihrem Blut fließen.‹ Was habt Ihr mit dem sechsten Mann getan?«
»›Je mehr der Mensch sich müht zu suchen, desto weniger findet er‹«, grollte der Herr.
Marian fügte hinzu: »Es gab keinen sechsten Mann. Kotzenmacher, Fischmenger, Goldgräber – alle nützliche Leute – verbreiteten den Duft ihres Gewerbes. Wir haben den Auftrag gegeben, uns jeden Mann mit einem Blumenkohlohr herzuschicken, um sie zu befragen. Keiner der armen Tölpel hat bisher jedoch auch nur im Entferntesten etwas von Alyss oder ihren Kleidern gewusst.«
»Sucht weiter, irgendwo muss dieser Mann sein.«
»Und Ihr, Falkner, habt Ihr eine neue Spur gefunden?«
»Ja, und sie führt zu Merten.« Er berichtete, was Lauryn herausgefunden hatte.
»Du glaubst, er hat sich mit Arndt am Tag vor seinem Tod getroffen?«
»Ich denke schon. Und er hat uns etwas verschwiegen, Marian.«
»Merten hat Caspar des Mordes an Arndt beschuldigt, und der starb unter seltsamen Umständen – es muss etwas Wichtiges sein, über das Merten schweigt. Mag sein, dass Mats sich noch an etwas mehr erinnert. Ich werde ihn befragen.«
»Und mich lockt Wynfrida, die Eselin.«
»Und mich lasst ihr mit dem Gestank der Gosse alleine«, murrte Lord Ivo.
»Begleitet mich, My Lord, wenn Ihr Gefallen an den lockeren Dirnen habt.«
»›Wein und Weiber betören die Weisen; und wer sich an Huren hängt, der wagt zu viel; den fressen die Maden und Würmer, und wer so verwegen lebt, der wird dahingerafft.‹ Sagt Sirach. Haltet Euren Geldbeutel fest, Falkner. Und kommt anschließend hierhin zurück, damit Ihr ein anständiges Mahl erhaltet. Mein Weib verzehrt sich nach Euch, warum auch immer.«
»Ja, John, meine Mutter sucht Trost, und ihr Vertrauen in dich ist groß.«
Es berührte John seltsam, dass man seine Gesellschaft wünschte. Er verbeugte sich und versprach, nach der Vesper zu ihnen zu kommen.
»Begleite du Maid Lauryn nach Hause, Marian. Und – wenn du noch einige Glasperlen hast, übergib sie ihr. Sie hat die ihren gegen Wissen getauscht.«
»Dann werde ich mit ihr gleich den Lagerraum aufsuchen. Treue hat ihren Lohn.«
18. Kapitel
C atrin wälzte sich unruhig hin und her, und irgendwann murrte ihr Gatte leise, dass sie ihm die Decke beständig entzog.
»Was quält dich, Catrin?«, fragte er und nahm ihre Hand.
»Ach … Ich muss immer an Alyss denken, Robert. Ich habe so schreckliche Vorstellungen. Man hat ihr die Kleider genommen, und seit zehn Tagen hält man sie irgendwo fest.«
»Sicher nicht ohne Kleider.«
»Weiß man es?«
»Catrin, wir wissen nicht, wer sie in seiner Gewalt hat und was man ihr antut. Sie muss damit fertigwerden, wir können ihr nicht dadurch helfen, dass wir uns die schlimmsten Dinge vorstellen. Wir können nur helfen, indem wir einen kühlen Kopf bewahren.«
Catrin seufzte. Sie hatte viele Jahre bei den Beginen gelebt und als Hebamme unzählige Kinder zur Welt gebracht. Sie wusste leider viel zu genau, wie manche dieser Kinder gezeugt worden waren.
Das ihre, das nun in ihrem Leib heranwuchs, war in Liebe und Traulichkeit empfangen worden, aber wenn man Alyss …
»Wir haben alle Angst um sie, Catrin«, sagte Robert und zog sie in seine Umarmung. »Und wir alle suchen sie. Aber es hat keinen Zweck, wenn wir unsere Kraft vergeuden. Du hast die Leitung des Haushalts übernommen, und das ist schon Hilfe genug. Nimm dir morgen ein wenig Zeit, besuch mit den Jungfern das Badehaus.«
»Ich kann mich nicht vergnügen, solange …«
»Catrin!«
Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. So viele Jahre hatte sie sich heimlich nach ihm gesehnt. Es war ein solches Wunder, dass er von den Toten auferstanden war und dann doch den Weg zu ihr gefunden hatte. Ganz sicher hatte er recht, und es war gut, das glauben zu
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