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Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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John von ihren Fesseln befreit waren.
    »Er kommt gerne auf Eure Faust zurück, der schöne Falke. Bänder sind gelöst, andere werden geknüpft. Doch hoch oben, versteckt hinter den dunklen Wolken, lauert einer mit schwarzem Gefieder. Seit Langem, geduldig, bereit zu vernichten, was hell und schön ist. Hütet Euch vor dem Hinterhalt. Ihr besitzt zu viel von dem, wonach es ihn gelüstet. Hütet Eure Liebe vor den Augen der Welt.«
    Wer wusste um ihre Liebe zu John? Wer außer Marian, ihren Eltern und Catrin?
    Wer lauerte seit Langem hinter der Düsternis?
    John und sie hatten so vorsichtig ihre Zuneigung verdeckt, die wenigen verstohlenen Berührungen hatte niemand gesehen. Oder doch?
    Jemand aus ihrem Hauswesen?
    Jemand, der glaubte, dass ihr Vater Enkelkinder von ihr forderte?
    Jemand, der Gehilfen hatte, sie zu entführen?
    Alyss richtete sich auf und atmete tief ein.
    Aber der Grund für ihre Entführung, der allerdings erschloss sich ihr nicht.

20. Kapitel
    L ore erwachte, als die erste Amsel verschlafen ihr Lied begann. Die Nacht war schon der ersten Dämmerung gewichen, und man konnte die Betten der beiden anderen Mädchen erkennen. Denise und Lauryn schlummerten tief in ihre Decken gekuschelt. Sie selbst lag noch immer so da, wie sie eingeschlafen war, viel zu sehr achtete sie die sauberen Laken, die weiche, mit Daunen gefüllte Decke, das mit besticktem Leinen bezogene Kopfpolster. Lore erwachte gerne in den frühen Morgenstunden, eine heimliche Zeit, in der sie ihren Gedanken nachhängen konnte. Das Haus war noch still, nichts rumorte, nichts klapperte. Auch die Tiere auf dem Hof schliefen noch. Doch wenn Herold, der martialische Hahn, die ersten Sonnenstrahlen fühlte, dann würde er lauthals den Arbeitsbeginn verkünden, und die Ruhe wäre vorbei.
    Seit einem halben Jahr genoss Lore den unerhörten Luxus, diese Kammer bewohnen zu dürfen, die immer reinlich gehalten wurde, deren Strohmatratzen nicht vermodert stanken, deren Laken nach Lavendel und Minze rochen. Sie genoss es inzwischen auch, reinliche Kittel zu tragen, und sie wusch sich jeden Abend die Füße.
    Mit Wasser.
    Jeden lieben Tag bekam sie hier ein reiches Frühmahl, süßen Brei mit dicker Sahne, Honig oft und immer Obst, Rosinen, Mandeln, geröstete Haselnüsse, gewürzt mit Zimt und Nelken. Dass sie selbst den Brei zubereiten musste, machte ihr nichts aus, auch nicht das Gemüse zu putzen, Fische zu schuppen, Hühner zu rupfen, Brotteig zu kneten. Sie war seit Monaten nicht mehr hungrig gewesen, und ihr Körper hatte sich endlich entschlossen, erwachsen zu werden.
    Was ein bisschen gruselig war. Aber Lauryn hatte ihr alles erklärt. Und die Frau Herrin hatte ihr ein paar Tücher gegeben, die sie an den bösen Tagen tragen konnte. Frau Hilda hingegen hatte allerlei düstere Warnungen ausgestoßen, von sauer werdender Milch bis hin zu blind werdenden Spiegeln. Aber darüber hatte Frau Herrin auch nur gelacht.
    Ach, wenn die doch nur wieder hier wäre.
    Seit fast zwei Wochen war sie nun schon fort, und keiner hatte auch nur einen Zipfel von ihr gefunden. Die vielen Jahre, die Lore als Päckelchesträgerin in den Gassen Kölns verbracht hatte, hatten ihr einen tiefen Einblick in die Abgründe des Menschlichen gezeigt. Zu viel von dem, was Menschen Menschen antun konnten, hatte sie gesehen, und Narben waren in ihrer Seele geblieben. Die Freundlichkeit aber, die sie von dem Hauswesen und auch von den Beginen jetzt erfuhr, war Balsam und Heilkraut. Auch wenn tief unten noch immer die Angst lauerte.
    Heute Morgen kroch diese Angst wieder aus ihren finsteren Höhlen in den lichten Morgen und drückte Lore die Kehle zu. Alle sagten, sie könne nichts tun, außer fleißig ihren Pflichten nachzukommen. Aber es musste doch noch etwas geben, etwas, wo sie helfen konnte.
    Die düsteren Aduchten hatten die Männer des edlen Herrn abgesucht, die dunklen Gassen die Wachen. In den Tavernen und üblen Frauenhäusern hatte man die Frau Herrin gesucht, in den einsamen Schobern und Winzerhäuschen in den Feldern, in den Katakomben der Kirchen und Klöster.
    Vorsichtig drehte sich Lore auf die Seite und sah zum Fenster hin. Die Läden hatten sie nicht geschlossen, und der heller werdende Himmel versprach endlich einen wolkenlosen Morgen.
    Wenn es doch nur in ihrem Gemüt heller würde.
    Wenn sie doch nur wüsste, wer der Frau Herrin das angetan hatte.
    Es musste ein ganz gemeiner, niedriger Hund sein.
    So einer wie der Thys, der widerliche Mann ihrer Schwester.

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