Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
am Haus gesetzt und schob einem der Kinder zerkrümeltes Brot in den Mund. Lore ließ sich neben ihr nieder und zauberte aus ihrer Kitteltasche einen Mandelkuchen hervor.
»Magst du den?«
Misstrauisch betrachtete die Magd das Gebäck. Dann setzte sie das Kind auf den Boden, griff zu und biss hinein.
Die knusprige Süße musste eine Überraschung für sie sein, Verzückung machte sich in ihrem Gesicht breit.
»Ich bin die Hanna«, sagte sie und kaute den nächsten Happen.
»Ich bin Lore, und das Messveech heißt Jennet. Und die wohledle Frau hat was mit deinem Herrn zu kamellen.«
»Und was?«
»Weiß ich nicht. Irgendwas mit Wein. Die wohledle Frau ist nämlich die Schwester einer Weinhändlerin.«
»Ach ja?«
»Aus Köln.«
Hanna zuckte zusammen.
Und Lore merkte auf. Die wusste doch was! Aber man musste vorsichtig fragen. Also begann sie harmlos.
»Ist eine gute Stellung hier, Hanna?«
»Ist ganz in Ordnung. War ganz in Ordnung, aber jetzt ist die Herrin tot, und alles hängt an mir. Vor allem die drei Blagen. Hatte es ja eilig, die Herrin, drei in drei Jahren hat sie bekommen.«
»Bist du schon so lange hier?«
»Nö, bin letzten Sommer in Stellung gegangen. Musste ich ja, wegen dem Auge. Da wollten sie mich nicht mehr auf der Baustelle haben. Ist Gips reingekommen. Aber hier ist die Arbeit leichter als im Tagelohn, und ich hab eine anständige Kammer. Und der Herr lässt mich in Ruhe.«
Lore nickte verständnisinnig. So was war wichtig.
»Meine Herrin ist Witwe. Ist auch gut.«
»Die da?« Hannas Kinn wies aufs Haus.
»Das is die Schwester der Frau Herrin. War mal ene Bejinge. Ist eine ganz Sanfte.«
»Die Frau war keine Sanfte. Die konnte keifen. Aber das Essen war gut. Jetzt muss ich kochen. Und alles wird knapp, weil dem Winzer die Weinstöcke verbrannt sind. Der hat sogar den Schmuck der Frau versetzt.«
»Das wird ihr leidgetan haben.«
»Und wie. Hat ein wüstes Gezänk gegeben, als sie ihn aufgefordert hat, den wieder auszulösen. Sie wollte die Fibel an Ostern in der Kirche tragen. Tja, und dann hat man sie an Ostern begraben. Ohne die Fibel.«
»Wie schrecklich.«
Hanna rang ihre schmutzigen Hände ineinander.
»Und ich bin schuld dran«, sagte sie dann leise. »Hätt ich nur meinen Mund gehalten.«
Ah, so kamen wir der Sache näher! Lore bebte förmlich, und ihre Zunge wollte vorschnell Fragen stellen, aber ihre Erfahrung mit derartigen Beichten sagte ihr, dass Geduld sie schneller zum Ziel führen würde. Geduld und mitleidiges Brummen. Und noch ein Mandelküchlein.
Und so erfuhr sie dann auch eine höchst erstaunliche Geschichte.
Hanna war, wie Lore selbst auch, in den Gossen von Köln groß geworden, das sechste Kind einer Tagelöhnerfamilie, die sich im Hafen und auf den Baustellen als Karrenschieber und Lastenträger den Unterhalt verdiente. Oder wahlweise als Dirnen ein Zubrot ergatterten. Hanna war den Arbeitern der Oberländerwerft an der Rheinvorinsel gelegentlich zu Diensten, und eines Tages hatte sie ein vornehmer Mann angesprochen. Sie hatte ihn zuvor schon einmal gesehen, wie er mit einer Frau tändelte, die einen kleinen Jungen bei sich hatte. Für den hatte er Rindenschiffchen gebastelt, die er im flachen Wasser an einem Band hinter sich herzog. Darum war sie nicht misstrauisch geworden, als er sie, Hanna, bat, dem hübschen Weib den Korb zu klauen und ihn hinter einem etwas entfernt liegenden Gebüsch zu verstecken. Ganz sicher wollte er sich dort an ihrem Leib ergötzen.
Sie nahm den Pfennig als Lohn und tat, was er ihr aufgetragen hatte. Das Weib – Luitgard war es – rannte schimpfend hinter ihr her. Hanna schlug Haken, entkam ihr und ließ den Korb an der bezeichneten Stelle stehen. Neugierig geworden, eilte sie aber dann in einem Bogen zurück, um zu sehen, ob die List des Mannes gelingen würde.
Doch der hatte überhaupt nicht die Absicht gehabt, dem Weib zu folgen, sondern hatte den kleinen Jungen weiter und weiter ins Wasser gelockt, bis der plötzlich untertauchte. Und dann hatte er ihn unter Wasser festgehalten.
»Ich war so entsetzt, dass ich einfach weggelaufen bin. Ja, und dann sind die Jahre vergangen, und ich kriegte den Gips ins Auge und musste mir andere Arbeit suchen. Und – ja, an alles das musste ich wieder denken, als ich hier die Frau Luitgard wiedertraf. Und weil sie mir erzählt hat, dass die Frau, bei der sie Amme für diesen Jungen gewesen ist, sie ohne Lohn rausgeworfen hat, weil sie ihr die Schuld an dem Tod gegeben hat, hab
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