Das Lied des Kolibris
erschien. Gestern hatte sie die schlichte Wohnstatt noch für schäbig gehalten. War es, weil sie sich heute ausgeruhter fühlte? Weil sie begann, sich an die merkwürdigen Umstände zu gewöhnen? Oder weil der Genuss des Zuckerrohrschnapses sie optimistischer gestimmt hatte? Ach, es konnte ihr ja gleichgültig sein. Hauptsache war doch, dass die Glut zwischen ihr und Zé wieder entfacht war und dass sie nun ihre gemeinsame Hütte betraten, verfolgt von den Blicken der anderen fünf.
Lua war gelassen und aufgeregt zugleich. Konnte das sein? Einerseits schmiegte sie sich mit schlafwandlerischer Selbstverständlichkeit an Zé, als sei sie schon seit Jahren seine Frau, die mit ihm das Lager teilte. Andererseits verspürte sie ein Prickeln an ihrem ganzen Körper angesichts dessen, was nun folgen würde. Und es würde folgen, daran hegte Lua keinerlei Zweifel. Sie freute sich darauf – und fürchtete es zugleich. Wieder diese zwiespältigen Gefühle: Während ihr Körper sich genau an die Sinnlichkeit erinnerte, die Zé in ihr geweckt hatte, hielt sich ihr Verstand noch bei der Entfremdung zwischen ihnen auf, die sie bei ihrer Flucht hierher empfunden hatte.
Zum Glück war Zé souverän und zärtlich genug, sie diese Verwirrung vergessen zu lassen. Als der Strohvorhang, der die Tür bildete, hinter ihnen herabfiel, nahm er Lua in die Arme, hauchte zahllose Küsse auf ihren Kopf und drückte sie fest an sich. Lua vergaß ihre Zweifel und Beklemmungen. Sie kam ihm entgegen, indem sie die Arme um seine Taille legte, seinen Rücken streichelte und seinen Hals nun ihrerseits mit kleinen Küssen bedeckte – höher reichte sie nicht, solange er sich nicht zu ihr hinabbeugte. So standen sie eine Weile mitten in der Hütte. Lua fragte sich schon, wann Zé sie wohl zum Bett führen würde, als er plötzlich mit rauher Stimme flüsterte: »Willst du meine Frau werden, Lua? Hier und jetzt, vor Gott und vor sonst niemandem?«
Lua ernüchterte schlagartig. War das ein Heiratsantrag gewesen? Was fiel Zé nur ein? Wollte er ihr nur als Ehemann beiwohnen? Aber diese Skrupel hatte er bei ihrer ersten Begegnung doch auch nicht gehabt. Was sollte das? Es ehrte ihn ja irgendwie – doch es zerstörte auch die Stimmung, die gerade noch zwischen ihnen geherrscht hatte. Sie hätte sich ihm mit Freuden hingegeben. Aber ihm das Jawort geben? Das war eine Entscheidung, die man nicht aus einer leidenschaftlichen Laune heraus traf.
»Zé …«, stöhnte sie auf. »Ich will dich. Aber muss ich genau jetzt entscheiden, ob ich dich auch heiraten will?«
Es war die falsche Antwort gewesen. Zé versteifte sich und rückte von ihr ab. In der Dunkelheit konnte sie seinen Gesichtsausdruck schwer erkennen, doch es wollte ihr scheinen, als sei ein bitterer Zug um seinen Mund.
»Bin ich dir nicht gut genug, ist es das? Als vornehme Haussklavin willst du bestimmt keinen einfachen Feldneger, wie?«
»Zé, hör auf damit.«
»Und Liberdade ist dir wohl auch nicht fein genug.«
»Bitte, Zé …«
»Ich hätte es wissen müssen. Du hast dich ja schon immer für etwas Besseres gehalten.«
»Zé!« Lua war entsetzt. Wie hatte Zés Stimmung nur so schnell umschlagen können? Im einen Moment war er noch zärtlich und liebevoll gewesen, hatte in seinen Tanz mit ihr die Verheißung unglaublicher Freuden gelegt und war sogar so weit gegangen, sie zur Ehefrau zu wollen. Im nächsten war er feindselig und aggressiv. War das auch auf die Wirkung des Cachaças zurückzuführen? Wenn dem so war, dann verstand sie endlich all die Frauen, die den Alkoholkonsum ihrer Männer missbilligten. Es war abscheulich. Er machte ihr Angst.
»Ze!«, rief er jetzt höhnisch. »Zé ist der Name eines Gefangenen – nichtssagend und austauschbar. Mein wahrer Name, der, den meine Eltern für mich gewählt haben, ist Mbómbo. Merk dir das, Lua. Ich bin kein Sklave mehr. Ich bin ein Rebell und Vorstand eines Quilombos.«
Ganz plötzlich, aus einem Impuls heraus, den sie selbst nicht ganz verstand, holte sie aus und verpasste Zé eine schallende Ohrfeige.
Die nachfolgende Stille ließ Lua frösteln, obwohl die Luft warm war. Die Wut, die Zé verströmte, war beinahe mit Händen greifbar. Wenn sie geglaubt hatte, Zé mit ihrer Ohrfeige wieder zur Vernunft zu bringen, so hatte sie sich getäuscht.
Angriffslustig kam er immer näher auf sie zu. Dann ergriff er sie plötzlich, hob sie hoch und warf sie auf seine Schlafmatte.
Ihr blieb keine Zeit mehr fortzulaufen oder auch nur,
Weitere Kostenlose Bücher