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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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dich um die Wäsche. Da gibt es jede Menge auszubessern. Und Nähen und Sticken kannst du ja, oder?«
    Lua war erneut dankbar für das Einschreiten und die sanfte Führung Marilus. Ohne diese Frau wäre die ganze verlauste Bande hier draußen verloren gewesen.
    Doch am Abend setzte sich der Streit fort, und auch in den folgenden Tagen wurde es nicht besser. Eher verschlimmerte sich die ohnehin schon angespannte Lage noch. Jeder keifte jeden an, jeder fand am anderen etwas auszusetzen, und die kleinste Unzulänglichkeit wurde mit bösen Bemerkungen quittiert. Den Frauen passte es nicht, was die Männer an magerer Beute heimbrachten, den Männern schmeckte die einfache Kost plötzlich nicht mehr, und selbst Cacas Erfindungen wurden auf einmal ins Lächerliche gezogen. Vor allem aber waren Zé und Lua die bevorzugten Ziele der Aggressionen. Was Zé denn für ein untauglicher Anführer sei, der eine solche Frau mit hierherbrachte und damit für Unfrieden sorgte? Und was eine wie Lua denn hier verloren hätte, eine eingebildete Ziege, die außer Sticken und Nähen keine Arbeit wirklich gut erledigte?
    Lua war erschrockener über diese Anfeindungen, als sie es sich nach außen hin anmerken ließ. Sie fühlte sich schuldig. Sie hatte den Frieden in Liberdade zerstört, wenn auch unwillentlich. Und sie hatte das üble Gefühl, dass man ihr diesen Fehler noch sehr lange nachtragen würde. Sie würde nie von den anderen als eine der Ihren akzeptiert werden, und im Grunde wollte sie es nicht einmal. Sie verabscheute diesen Ort und diese Leute. Und der einzige Grund für sie, hier zu sein, nämlich Zé, hielt sich ostentativ fern von ihr, was ihr ebenfalls entgegenkam. Sie wollte mit dem Kerl nichts mehr zu schaffen haben seit jener unsäglichen Nacht.
    Dennoch konnte sie sich seiner Anziehungskraft nicht ganz entziehen. Zé hatte tagelang zerknirscht gewirkt, und er hatte sie in einem der seltenen Momente, in denen sie ausnahmsweise mit ihm unter vier Augen war, um Verzeihung angefleht. Er hatte ihr kleine Geschenke gemacht und alles in seiner Macht Stehende getan, um sie zu besänftigen. Und beinahe wäre es ihm sogar gelungen, denn Lua wäre froh gewesen, wenigstens wieder eine Menschenseele auf ihrer Seite zu wissen. Aber sie gab sich unversöhnlich. Seinen furchtbaren Fehltritt konnte er nicht rückgängig machen.
    Wenn Lua anfangs noch geglaubt hatte, sie könne sich irgendwann einmal mit Liberdade und seinen Bewohnern anfreunden, so schwand diese Hoffnung nun zusehends. Es wurde nicht besser, sondern mit jedem Tag unerträglicher. Auch die Tatsache, dass sie Zé weiterhin so attraktiv fand, störte sie. Sie
wollte
ihn nicht lieben!
    Als dann eines Tages Caca zu ihr kam, um ihr stotternd seine Liebe zu gestehen, brachte er damit das Fass zum Überlaufen. Zwar hatte sie inzwischen begriffen, dass Caca durchaus nicht schwachsinnig war, sondern nur mit dem Sprechen Schwierigkeiten hatte, aber das hatte an ihren Gefühlen für ihn wenig geändert. Die Vorstellung, künftig den schmachtenden Blicken Cacas ausgeliefert zu sein, und zwar tagtäglich, war ihr ein Graus – und die, den armen Kerl leiden zu sehen, ebenfalls. Sie brachte wirklich nur Unglück über dieses elende Dorf! Es wäre für alle das Beste, wenn sie wieder fortginge.
    Zwei Tage später machte Lua sich auf den Weg. Sie hatte sich nur von Marilu verabschiedet, denn die Männer waren bei der Jagd, und mit Bebel sprach sie kein Wort mehr. Marilu hatte ihr Lebensmittel und das Nötigste für die Wanderung eingepackt und ihr viel Glück gewünscht. Sonst nichts. Es gab kein großes Abschiedsgetue, und es gab keine Tränen. Da brauchten sie einander nichts vorzumachen: Die Erleichterung, dass Lua fortging, war auf beiden Seiten groß.

33
    E ulália tat etwas, was sie nie zuvor getan hatte, etwas, das sie auf ewig als Verrückte brandmarken würde, wenn es denn je herauskäme: Sie ging am Strand spazieren. Und zwar barfuß und mit geschürztem Rock. Es war herrlich! Es herrschte Ebbe, und das Wasser hatte sich so weit zurückgezogen, dass am Strand kleine Becken innerhalb der freigelegten Felsformationen entstanden. Diese Becken waren so seicht, dass man nicht nur bis auf den sandigen Grund sehen, sondern auch ruhigen Gewissens bis zu den Knien darin stehen konnte. Die Wellen brachen sich an dem Riff, das weit entfernt war, und die wild aufschäumende Gischt in der Ferne bildete einen schönen Kontrast zu dem friedlichen Idyll in unmittelbarer Strandnähe.
    Einzig

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