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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Vögeln angepickten Cajús, die auf der Erde vor sich hin rotteten. Warum kam ihm hier plötzlich alles ein wenig verwahrlost vor? War es immer schon so gewesen? Oder war seine Wahrnehmung irgendwie in Mitleidenschaft gezogen worden von den unerfreulichen Vorgängen der letzten Wochen? Wie auch immer: Hier musste etwas getan werden, und zwar schleunigst. Schon morgen würde er ein paar Männer dazu abstellen, die Balken zu schleifen und neu zu ölen, einen neuen Zaun zu spannen und das Fallobst einzusammeln. Neben allen möglichen anderen Dingen, die ihm weiterhin auffallen mochten.
    Hinter der Casa Grande entdeckte er Imaculada. Sie hockte mit angezogenen Beinen – die Knie fast auf Ohrenhöhe – an einem Baumstamm und pulte sich mit einem Stöckchen in den Zähnen. Erstaunlich, wie gelenkig die Alte noch war. Erstaunlich ebenfalls, wie gut ihre Zähne waren. Das war ihm bisher nie aufgefallen. Ob es etwas mit ihrer ungewöhnlichen Art der Zahnpflege zu tun hatte? Nun, danach würde er sie gewiss nicht fragen.
    »Da bist du ja, Imaculada. Ich habe dich gesucht.«
    »Sim, Sinhô, alte Imaculada sein da. Zu alt, um laufen weg.«
    Wollte sie ihn auf den Arm nehmen? Jedenfalls bot sie ihm den perfekten Ansatz, um auf das eigentliche Thema einzugehen.
    »Würdest du denn weglaufen wollen, wenn du jünger wärst?«
    »Sim, Sinhô, junge Imaculada laufen wie Antilope. Aber jetzt alt, bald sterben.«
    Manuel schüttelte den Kopf. Bei der Frau wusste man einfach nicht, ob sie schon ein bisschen verkalkt war oder ob sie sich nur dumm gab.
    »Du siehst nicht gerade moribund aus, Imaculada.«
    »Morimbundu! Doch sein morimbundu. Imaculada immer ehrlich!«
    »Na, dann verrate mir doch mal, was du über die Flucht von Zé weißt. Und die von Lua.«
    »Imaculada nix kennen junge Neger. Die Junge Angst haben vor Imaculada, gehen weit weg, wenn mich sehen.«
    »Das stimmt ja so nicht ganz. Man hat dich mehrere Male in Gesellschaft von Lua gesehen. Was hattet ihr beiden denn so Wichtiges zu besprechen?«
    »Die schön Haussklavin? Die wollen wissen Mittel gegen Frauenkrankheit.«
    »Oh«, entfuhr es Manuel, und eine tiefe Röte legte sich über sein Gesicht.
    Imaculada war kurz davor, in herzhaftes Gelächter auszubrechen. Morimbundu, ha! Frauenkrankheit! Die Leute reagierten immer gleich, wenn man entweder mit vermeintlich afrikanischen Wörtern um sich warf oder aber Frauenleiden ansprach. Bei dem einen war es der Aberglaube, bei dem anderen die Verklemmtheit der Weißen, die es ihnen unmöglich machte, weiter darüber zu reden. Den jungen Manuel hielt sie im Grunde für einen guten Jungen, der etwas weniger heuchlerisch als seine Artgenossen war. Dass er ebenfalls so verlegen reagierte, erstaunte sie allerdings.
    »Und welche Frauenkrankheit war das? Konntest du ihr helfen? Warum ist sie nicht zu uns gekommen? Wir hätten den Doktor nach ihr sehen lassen.« Manuel hatte sich schnell wieder gefangen. Und er würde sich nicht mit so fadenscheinigen Erklärungen abspeisen lassen.
    Imaculada bekam einen tüchtigen Schrecken. Das hätte sie nicht erwartet, dass der Jungspund so ungeniert weiterfragte. Alle Achtung, der Bursche hatte mehr Grips als der Rest seiner Familie zusammengenommen. »Viel Blut, viel Schwindel«, log sie munter weiter. Er würde ihr ja doch nie das Gegenteil beweisen können. »Imaculada kennen alte afrikanische Geheimrezept.«
    »Du weißt doch, dass ihr euren afrikanischen Hokuspokus hier nicht ausüben dürft.«
    »Nix Hokuspokus! Sein Medizin, besser als junge Sinhô Carlos!«
    Hier nun brach Manuel in lautes Lachen aus. Die Alte hatte Mumm, das musste man ihr lassen. Ihm unverblümt ins Gesicht zu sagen, dass sie seinen Bruder für einen schlechten Arzt beziehungsweise Medizinstudenten hielt, war eine Dreistigkeit sondergleichen – und leider allzu wahr. Dennoch durfte er sich von seiner erwachenden Sympathie für die Alte nicht vom Wesentlichen ablenken lassen.
    »Also, liebe Imaculada. Weil du alt bist, brauchst du vielleicht etwas mehr Zeit zum Nachdenken. Morgen um dieselbe Zeit erwarte ich eine Antwort auf die Frage, wie Zé und Lua die Flucht glücken konnte. Und wehe, ich bekomme von dir Senilität vorgespielt!«
    »Ja, morgen alte Imaculada erinnern bestimmt. Schnell wie Antilope!«, gab sie zurück.
    Doch trotz ihrer Lust am Veralbern beschlich sie ein ungutes Gefühl. War man ihr auf die Schliche gekommen?

32
    L ua fragte sich, warum ihr die Hütte in dieser Nacht so viel wohnlicher

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