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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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zusammengerollt auf der Erde liegend und in ein Laken gehüllt, das sie als ihr eigenes identifizierte. Sie weckte Lua durch einen sanften Fußtritt in die Seite.
    »Wach auf. Oder willst du, dass die anderen dich so hier sehen?«
    Lua schrak auf und brauchte einen Moment, ehe ihr einfiel, wo sie sich befand und was letzte Nacht geschehen war. Sie schälte sich aus dem Laken und stand auf. »Ich …«
    »Du brauchst es mir nicht zu erzählen, wenn du nicht willst. Aber meistens hilft es, wenn man es loswird.«
    Sofort begann Lua zu weinen. Die verständnisvolle Art Marilus war mehr, als sie ertragen konnte. Lieber hätte sie jetzt auf das Gepöbel von Bebel reagiert, sich über das Gestammel ihres Bruders lustig gemacht oder sogar Zé mit Gemeinheiten bedacht. Alles, alles wäre ihr jetzt willkommener gewesen als Mitleid und Verständnis!
    Sie wandte sich von Marilu ab und lief an den Fluss, um sich das Gesicht zu waschen und zu kühlen. Sie wollte nicht, dass die anderen sie heulen sahen. Als sie sich wieder gefangen hatte, ging sie zurück, hockte sich ans Feuer und streckte die Hand nach dem Holzlöffel aus, den Marilu ihr wortlos überließ. Die Ältere verstand Luas Wunsch nach Beschäftigung und ließ sie den Brei rühren, den sie aufgesetzt hatte. Schon bald würden die anderen aufstehen und nach Frühstück verlangen.
    Kurz darauf kamen sie einer nach dem anderen aus ihren Hütten, noch müde und verkatert. Mehr als ein mürrisches »Morgen« ließ keiner von sich hören, und schweigend löffelten sie ihren Brei.
    »Wo steckt denn unser Bonbon?«, fragte Bebel und sah Lua an.
    Die zuckte nur mit den Achseln. »Schläft wohl noch seinen Rausch aus.«
    »Geh ihn doch mal wecken. Wir anderen haben uns ja auch aus dem Bett gequält.«
    »Weck ihn doch selber.« Lua fand den herrischen Ton Bebels unerträglich, und sie sah nicht ein, sich von der vulgären Frau zur Dienstmagd degradieren zu lassen, die man nach Belieben herumkommandieren konnte.
    »Du Biest«, fauchte die andere. »Wie redest du mit mir?«
    »Und wie glaubst du, mit mir umspringen zu können? Hältst du dich für eine Sklaventreiberin oder was? Ha, da bist du ja hier genau am richtigen Ort.«
    »Wenn dir Liberdade nicht gefällt, kannst du ja wieder gehen, zurück in deine schöne Casa Grande. Ich sehe dich schon vor mir in deinem gestärkten Häubchen und den schönen weißen Unterröcken, unter die sich der Senhor gelegentlich verirrt.«
    Die anderen hatten diesem Wortwechsel gespannt gelauscht, sich bisher aber nicht eingemischt. Doch bei Bebels letzter Bemerkung sprang ihr Bruder, Caca, erzürnt auf. »So dddarfst ddu nicht mit Llllua reden!«
    »Danke, Caca«, sagte Lua herablassend lächelnd. Dass ausgerechnet der arme behinderte Kerl zu ihrer Ehrenrettung einsprang, fand sie rührend.
    »Ach, die ist doch nur neidisch, weil unter ihre groben Leinenröcke nie ein schmucker Senhor wollte, sondern nur der stinkende Aufseher«, bemerkte João grinsend.
    Lua fand diese Bemerkung ebenso geschmacklos wie zuvor die von Bebel, aber hier schien sich keiner an solchen Äußerungen zu stören. Sie waren, so befand Lua wieder einmal, eben ein Haufen Feldneger, vulgär, dumm und gemein.
    »Was ist nur mit euch allen los?«, schrie Bebel. »Kaum taucht so ein verwöhntes Ding auf, so ein zartes Püppchen, da dreht ihr Männer alle durch und vergesst, wem ihr zu Dank verpflichtet seid.« Sie war außer sich vor Wut, und wenn Lua nicht selbst so verärgert gewesen wäre, hätte sie die andere sogar verstanden. Es war nicht freundlich von den Männern, so unverhohlen ihre, Luas, Partei zu ergreifen, zumal sie sie ja kaum kannten.
    »Dann gehe
ich
jetzt eben Zé wecken«, grummelte Luizinho, als sei das der eigentliche Grund für die Auseinandersetzung gewesen.
    Wenig später kam er zurück: »Der ist gar nicht da. Was hast’n mit dem gemacht, Mädchen?«, wandte er sich an Lua.
    »Nicht annähernd das, was er verdient hätte«, fauchte sie ihm zu.
    »Klang aber ganz anders heute Nacht«, sagte João.
    Lua war äußerst verlegen, beherrschte sich aber und erwiderte kalt: »Wenn du schon lauschst, dann solltest du wenigstens so viel Anstand besitzen, nicht auch noch vor allen anderen damit anzugeben. Lauscher sind widerlich.«
    »An die Arbeit, Leute«, scheuchte Marilu sie alle auf. »Zé ist sicher längst draußen bei der Jagd.« Wenn die Unterhaltung weiter in dieser Richtung verlief, würde es bald zu einer Schlägerei kommen. »Und du, Lua, kümmerst

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