Das Lied des Kolibris
teilte. Ich war hocherfreut, dass es ihm so gutging und dass ich nun Großmutter werden würde. Meine Schwiegertochter hieß Preta, »Schwarz«, wegen ihrer sehr dunklen Hautfarbe, obwohl diese nicht annähernd den tiefen Ebenholzton der Haut meines Sohnes hatte. Sie war eine schüchterne, liebenswerte Person, die mich dauernd aus dem Augenwinkel taxierte, weil sie zu höflich war, mich offen anzustarren. Sie hatte nichts von meiner Existenz gewusst, denn Beto, wie mein Sohn hier genannt wurde, hatte sich ja selbst für eine Waise gehalten. Ich spürte, dass sie sich vor mir fürchtete, weil ich ein sonderbares Portugiesisch sprach und ihren Mann ständig Uanhenga nannte. Sie war wie alle Sklaven, die in Gefangenschaft geboren waren und nichts anderes kannten: Alles Afrikanische machte ihr Angst.
Die Stunden vergingen wie im Fluge, und als man nach José und seiner Kutsche rief, war noch längst nicht alles gesagt. Ich versprach, so bald wie möglich wiederzukommen, und Beto und Preta sagten, sie würden auch umgekehrt mich gern einmal besuchen. »Wenn das Kind da ist«, sagte mein Sohn. »Vorher ist es für Preta zu gefährlich. Aber es kann jetzt nicht mehr lange dauern.« Er tätschelte ihren dicken Bauch, und ich war gerührt über seine Fürsorglichkeit.
Auf der Rückfahrt sprachen José und ich kein Wort miteinander. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Es stimmte mich traurig, dass José angesichts meiner glücklichen Familienzusammenführung an sein eigenes trauriges Los erinnert worden war und dieses nun noch schwerer auf ihm zu lasten schien als vorher. Erst kurz vor unserer Ankunft auf São Fidélio schenkte er mir ein zaghaftes Lächeln und sagte: »Ich freue mich für dich, Imaculada, ich meine, Kasinda. Und ich bete zu unserem Herrgott dort droben, dass dein Glück diesmal länger währt.«
Ich schüttelte den Gedanken, dass mir weiteres Ungemach drohen könnte, unwirsch ab. Jetzt wollte ich mein Glück auskosten. Sollte mein Schicksal eines Tages wieder eine unschönere Wendung nehmen, so wäre es erst dann an der Zeit, sich zu grämen.
Es sollten fünf Jahre vergehen, in denen ich so froh und zufrieden war, wie man es als Sklavin nur sein konnte, bevor neuerliches Unglück über mich hereinbrach.
Uanhenga – Beto – wurde verkauft. Ein Mann aus dem Süden, der große Rinderherden besaß, war so angetan von meinem Sohn und dessen unglaublichem Tierverstand, dass er einen sehr hohen Preis für ihn bot, dem sein Senhor nicht widerstehen konnte. Preta und der gemeinsame Sohn, José Henrique, genannt Rico, blieben zunächst auf Três Marias. Es war ein kleiner Trost für mich, dass ich wenigstens noch meinen Enkel gelegentlich sehen konnte. Doch auch ihn verlor ich. Vor sieben Jahren, da war Rico schon elf Jahre alt, heiratete die älteste Tochter der Senhores von Três Marias, also die Schwester von Sinhô Rui Alberto. Als Mitgift erhielt sie unter anderem Preta und Rico, die dann mit ihr nach Rio de Janeiro zogen.
Ich habe nie wieder von Uanhenga, Preta und Rico gehört. Aber ich habe die Geister angerufen, und ich weiß, dass es meinem Sohn und meinem Enkel gutgeht. Ich habe die Stimmen meiner Mutter Nzinga und meines Vaters Mukua-nguzu gehört, die froh klangen. Das Wissen, dass ihre geraubte Tochter lebt und ihr Blut weitergegeben hat, hat sie mit dem Schicksal, das ihnen im irdischen Leben so übel mitgespielt hatte, versöhnt.
Und mir selbst geht es ähnlich. Ich weiß, dass ich bald ins Reich der Ahnen reise. Ich gehe freudig und willig. Ich sehne das Wiedersehen mit meinen Angehörigen herbei – und werde über meine Nachfahren, die hoffentlich sehr zahlreich werden, wachen.
46
A men«, wäre es Lua beinahe herausgerutscht angesichts der Getragenheit von Kasindas Worten. Doch sie konnte es sich gerade noch rechtzeitig verkneifen.
»Dann hast du einen Enkel?«, fragte sie.
»Ja. Vielleicht auch mehr Enkel? Vielleicht Uanhenga haben neu Frau? Vielleicht haben Urenkel? Rico schon groß, kann sein Vater …« Es war wohl die reine Macht der Gewohnheit, dass Kasinda weiterhin in ihrem schlechten Portugiesisch sprach, obwohl sie, wie Lua nun erfahren hatte, es besser gekonnt hätte. Aber Kasindas Augen glänzten, als sie von ihren Nachkommen sprach, und Lua hatte nicht das Herz, ihr zu widersprechen. Wenn alles stimmte, was sie ihr erzählt hatte, dann wäre ihr Enkel Rico jetzt 18 Jahre alt und somit entschieden zu jung, um schon eigene Kinder zu haben. Wobei … auf São
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