Das Lied des Kolibris
auf Três Marias.«
Ich schluckte. Konnte das wahr sein? Sollte mir einmal im Leben Glück beschieden sein? Três Marias war nur einen Katzensprung von São Fidélio entfernt! Welch ein wunderbarer Zufall!
»Oh, José, das ist ja phantastisch!«, rief ich aus und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Vor lauter Begeisterung hatte ich sogar vergessen, dass ich doch eigentlich gar nicht so gut Portugiesisch sprechen wollte.
Er schaute mich nachdenklich an, verkniff sich aber die Fragen, die ihm auf den Nägeln brannten. Er ist wirklich ein guter Mann, und hätte ich ihn vor all meinen schmerzlichen Verlusten kennengelernt, als in meinem Herzen noch Platz für derlei Dinge war, ich hätte mich sicher in ihn verliebt.
Ich quetschte ihn nach allen Einzelheiten aus: Wie sah Nzinga aus? Welche Kleidung trug sie? Wie sah ihr Haus aus? Waren andere Leute da gewesen, Personal oder Gäste? Aus Josés manchmal etwas zögerlichen Antworten schloss ich, dass es nicht allzu gut um Nzinga bestellt war, und ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen, was seit Jahren nicht mehr vorgekommen war.
»Sie sieht dir ein bisschen ähnlich«, sagte José abschließend, »sie ist eine Schönheit.«
Er wusste es. Wahrscheinlich hatte er von Anfang an gewusst, dass es sich um meine Tochter handelte.
Kurz darauf fasste ich mir ein Herz und bat bei dem Senhor um die Erlaubnis, nach Três Marias gehen zu dürfen, denn es bestünde Grund zu der Annahme, dass mein Sohn dort lebe.
»Du weißt nicht, ob er dort lebt oder nicht?«, fragte Senhor Carlos verblüfft.
»Nein, böse Mann trennen Mutter und Sohn vor viele Jahre.«
Er schüttelte den Kopf. »Ach, Imaculada. Es geschehen zu viele Greueltaten auf dieser Welt, nicht wahr?«
Ich glaubte nicht, dass er darauf eine Antwort erwartete, daher gab ich ihm auch keine. Ich hatte übrigens seit meiner Versteigerung wieder meinen alten Sklavennamen angenommen. Kasinda war ich nur gewesen, als ich mich vorübergehend frei glaubte.
»Ja«, willigte er schließlich ein, »du kannst am kommenden Sonntag mit Dona Isabel fahren, sie besucht ihre Freundin.«
Ich knickste artig. »Danke viel, Sinhô, danke viel sehr.« Ich musste selber über dieses vergewaltigte Portugiesisch schmunzeln.
»Ich wünsche dir viel Glück, Imaculada.«
»Sim, Sinhô, danke viel, viel sehr!«
Als der Sonntag gekommen war, konnte ich vor Aufregung kaum still auf dem Kutschbock sitzen. »Ruhig, Imaculada«, forderte José mich auf, »du machst die Pferde ja ganz verrückt.«
Ich stellte mir meinen kleinen Uanhenga als erwachsenen Mann vor, der er jetzt, mit 29 Jahren, war, doch es gelang mir nicht. Vor meinem geistigen Auge sah ich immer nur einen schlaksigen Jungen mit zu großen Füßen, der voller Überschwang war und nicht wusste, wohin mit seinen Kräften.
»Hoffen wir, dass es auch der Betinho ist, nach dem du suchst«, sagte José nach längerem Schweigen.
Ich sagte nichts.
»Stehst du ihm sehr nahe?«, wagte er zu fragen, und ich bedachte ihn mit einem tadelnden Blick, dem er sogleich auswich.
»Tut mir leid. Geht mich ja nichts an.«
Seine Zurückhaltung und Bescheidenheit rührten mich – und ich beschloss, ihm alles zu erzählen. Es tat mir gut, es mir von der Seele zu reden. Ich hatte mich viel zu lange der Außenwelt verschlossen, erkannte ich plötzlich. José hörte mir aufmerksam zu, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen. Als ich mit meiner Erzählung zu Ende war, sagte er eine Weile lang gar nichts. Dann platzte er plötzlich heraus: »Ich hatte auch eine Frau und drei Kinder.«
Ich starrte ihn an und schämte mich unendlich. Ich hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet, welche tragischen Wendungen das Leben Josés genommen haben mochte, so sehr war ich mit mir selbst beschäftigt gewesen.
»Das erzähle ich dir dann auf der Rückfahrt«, sagte José, denn wir erreichten endlich die Fazenda Três Marias.
Es handelte sich um ein äußerst gepflegtes Anwesen, mit einem Herrenhaus, das älter war als jenes auf São Fidélio, aber sehr gut in Schuss gehalten wurde. Die Palmen, die die Einfahrt säumten, waren viel höher als unsere, und alles roch förmlich nach altem Geld. José setzte die Senhora vor der Casa Grande ab, um anschließend den Wagen Richtung Stallungen zu lenken, wo man sich um die Pferde und um uns – in dieser Reihenfolge – kümmern würde. Er begleitete mich zu dem ältesten Stallknecht, den er jovial begrüßte, denn die beiden kannten sich schon von
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