Das Lied des Kolibris
einem sehr günstigen Preis, fast schon beleidigend billig. Aber zu diesem Zeitpunkt konnte ja niemand ahnen, dass ich so lange leben würde und noch viele Jahre auf der Fazenda einsetzbar wäre. Ich bin also eine gute Geldanlage gewesen.
Meine neuen Herrschaften waren brave Leute. Sie behandelten uns Sklaven gut, und ich beglückwünschte mich für meine Entscheidung, den Schinder zu ermorden. Bei ihm hätte ich sicher nicht mehr lange zu leben gehabt, während mich hier ein vergleichsweise angenehmer Lebensabend erwartete. Mein eigentliches Ziel hatte ich indes nicht erreicht: Ich war meinen Kindern keinen Schritt näher gekommen. Ihr Erbe hatte ich gleich nach meiner Ankunft auf der neuen Fazenda sicher versteckt, für den Fall, dass ich Läuse bekam und geschoren werden musste. Das passierte ungefähr einmal im Jahr. Aber wie sollte ich es Nzinga und Uanhenga jemals geben, wenn ich nicht einmal wusste, wo sie sich aufhielten?
Ich war schon fünf Jahre auf São Fidélio, als wir einen neuen Kutscher bekamen – José, der damals noch im besten Alter war. Er verliebte sich in mich, warum auch immer, denn ich war fast zehn Jahre älter als er. Ich ermutigte ihn keineswegs, ich gab mich sogar außergewöhnlich abweisend, obwohl mir seine Annäherungsversuche doch insgeheim schmeichelten. Je mehr ich ihm die kalte Schulter zeigte, desto vernarrter wurde er. Er hofierte mich wie ein Kavalier, das musste man ihm lassen. Nie fiel auch nur ein obszönes Wort, nie machte er anzügliche Bemerkungen. Er war gut erzogen, und irgendwann ließ ich mich dazu herab, mich von ihm zu einer Kutschfahrt einladen zu lassen. Es war natürlich streng verboten, dass wir während der Abwesenheit unserer Senhores die Kutsche zu unserem Vergnügen benutzten, aber vielleicht machte das gerade den Reiz des Ausflugs aus.
Es war eine schöne Fahrt, und wir benahmen uns wie Heranwachsende, die zum ersten Mal ein wenig Zeit allein miteinander verbringen durften. Wir kicherten und hielten Händchen, und ich ließ mir die Komplimente Josés gefallen, ohne sie zu erwidern. Allzu große Hoffnungen wollte ich ihm schließlich nicht machen.
Es dauerte lange, bis ich genügend Vertrauen in ihn hatte, um ihn mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen. Als er mal wieder nach Salvador fuhr, um dort das neue Porzellan der Senhora abzuholen, bat ich ihn, sich nach einer gewissen Dame namens Nzinga umzuhören. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er keine weiteren Fragen stellte, sondern einfach nur nickte.
»Wenn ich sie finde – soll ich ihr etwas von dir bestellen?«
»Ja, nur sagen, Kasinda sein auf São Fidélio.«
»Ist gut.«
Er fand sie. Er richtete meine Nachricht aus. Und er beschrieb mir, wie die Begegnung verlaufen war, wobei ich glaube, dass er die wirklich unschönen Details ausließ, um mich zu schonen.
»Sie war einmal sehr berühmt. Sie lebt in einem schönen, großen Haus, und obwohl ich nur die Halle gesehen habe, wirkte es sehr elegant, richtig vornehm. Auch die Kleidung der Dame war fein, und sie war sehr freundlich zu mir. Sie reichte mir ein Glas Limonade, nachdem ich ihr deine Botschaft übermittelt hatte, und erkundigte sich nun ihrerseits nach dir. Ich habe ihr alles erzählt, was ich wusste – was ja nicht allzu viel ist. Ich hoffe, es war dir recht so. Nun ja, jedenfalls war die Dame leidend. Sie habe nicht mehr lange zu leben, berichtete sie, und ich solle dir bestellen, dass du dir keine Gedanken zu machen brauchtest. Sie habe ein wunderbares, erfülltes Leben gehabt und sei nun bereit, vor ihren Schöpfer zu treten.«
Mir entfuhr ein kleiner Schluchzer bei diesen Worten, was wiederum den armen José verstörte. Er hatte mich nie anders als beherrscht erlebt. Ich rechnete nach: Wir schrieben das Jahr 1745 christlicher Zeitrechnung, Nzinga musste jetzt 38 Jahre alt sein. Wieso starb sie so jung? Ob sie sich die Franzosenkrankheit geholt hatte?
»Sie sagte auch, sie habe keine Kinder und würde deshalb ihr Vermögen den heiligen Schwestern von der Misericórdia vermachen, und sie hoffte, diese Entscheidung finde deine Zustimmung.«
Ich nickte. Was sollte ich schon sagen? Ich hätte tausend bessere Verwendungszwecke für das Geld gewusst, doch es gehörte ja ihr, und sie konnte es vererben, wem immer sie wollte. Zumindest ihren Halbbruder hätte sie aber freikaufen können, schoss es mir durch den Kopf.
»Außerdem lässt sie dir ausrichten, Betinho gehe es gut und er brauche ihr unsauberes Geld nicht. Er lebe übrigens
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