Das Lied des Kolibris
Aipim-Wurzeln, weißen Reis, karamellisiertes Karottengemüse und ein Soufflé aus Chuchu-Gemüse. Fernanda, Lulu und Lua standen an der Tür des Speisezimmers und rechneten sich aus, wie viel davon für sie übrig bleiben und wer den Löwenanteil einheimsen würde.
Während des Hauptgangs wurde wenig gesprochen, aber als das Dessert gereicht wurde – Kokos-Ananas-Törtchen –, kam die Unterhaltung in Gang, was nicht zuletzt auf den Wein zurückzuführen war, dem alle fünf reichlich zusprachen.
»Du trinkst zu viel«, sagte Dom Felipe zu seiner Tochter. »Für eine junge Dame ziemt sich das nicht.«
»Ach komm, Pai«, sagte Eulália mit einem neckischen Lächeln, »es war doch nur ein Glas.«
»Das aber zwischenzeitlich dreimal nachgefüllt wurde«, gab Carlos zu bedenken. »Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Alkohol bei Frauen eine verheerende Wirkung haben kann.« Seit der älteste Sohn des Hauses an der medizinischen Fakultät von Salvador studierte, führte er sich auf wie ein großer Gelehrter, dabei war er erst im zweiten Semester.
»Bei Männern nicht?«, muckte Eulália auf. »Soviel ich weiß, sind Unruhen und Schlägereien unter den Sklaven fast ausschließlich auf männliche Trunkenbolde zurückzuführen.«
»Du willst uns doch wohl nicht mit den Negern vergleichen!«, empörte sich Dona Ines.
»Es gibt auch Störenfriede, die keinen Schnaps brauchen, um sich zu ereifern«, meldete der junge Manuel sich leise zu Wort, und schlagartig wurde es mucksmäuschenstill in dem Raum. Es war faszinierend, wie alle dem Jüngsten in der Runde Gehör schenkten und gespannt darauf warteten, was er zu berichten hatte.
»Du meinst die Brandstifter?«, fragte sein Vater, Dom Felipe, nach.
Manuel nickte. Er resümierte die Vorkommnisse der vergangenen Woche für seinen Bruder, der wütend ausrief: »Alle aufknüpfen!«
»Ich halte das für keine kluge Lösung«, wagte Manuel seinem großen Bruder zu widersprechen, und abermals lauschten ihm alle andächtig. Selbst der eingebildete Carlos schien das Urteilsvermögen des 15-Jährigen nicht in Frage zu stellen.
»Es handelt sich um vier junge, kräftige Männer. Zum einen würde ihr Tod einen erheblichen finanziellen Schaden für uns bedeuten. Zum anderen wären wir den Ursachen für diesen Brand kein bisschen nähergekommen. Wo es vier zerstörungswütige Männer gibt, gibt es auch noch mehr davon. Entledigen wir uns der vier Rebellen, steigt der Unmut, und in Kürze haben wir vierzig entfesselte und zu allem entschlossene Neger. Wir müssen das diplomatisch angehen.«
»Einer davon war außerdem ein Geschenk – er ist mein persönliches Eigentum«, quengelte Eulália.
»Na, da hat der liebe Rui Alberto ja zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Schiebt seinen größten Störenfried an uns ab und tarnt es als teures Verlobungsgeschenk«, bemerkte, außergewöhnlich scharfsichtig, Carlos. »Wann«, fuhr er fort, »soll die Verlobung denn eigentlich gefeiert werden?«
Es folgte ein kurzes Gespräch zwischen den beiden Geschwistern, geprägt von Getuschel und Gekicher. Die Eltern und der jüngste Sohn saßen schweigend vor ihren leeren Desserttellern und verdrehten die Augen. Sie kannten die Vorliebe der beiden für gesellschaftliche Ereignisse, für Bälle und Intrigen und Verkuppelungen.
Von den drei Sklaven wollte keiner den Tisch abräumen, um nur ja keine Silbe von dem zu verpassen, was demnächst über die vier Gefangenen gesagt werden würde. Erst als Dona Ines ein unwirsches Handzeichen in Richtung Lulu gab, setzte dieser sich in Bewegung. Fernanda half ihm. Als beide den Raum verließen, warf Fernanda ihrer Freundin vielsagende Blicke zu, deren es gar nicht bedurft hätte. Lua verstand auch so, dass sie sich bloß ja nichts entgehen lassen durfte.
»Ich habe eine Idee«, sagte da der junge Manuel.
»Ja?«, fragten wie aus einem Mund die anderen vier.
»Also: Wir müssen die Kerle voneinander trennen. Dann müssen wir jedem Einzelnen von ihnen zu verstehen geben, dass die anderen ihn verpfiffen haben und als den Hauptschuldigen darstellen. Die Wut wird ihre Zungen lösen, glaubt mir.«
»Die Peitsche wird ihre Zungen auch lösen«, widersprach Carlos. »Und eine schöne öffentliche Auspeitschung hatten wir auf São Fidélio schon lange nicht mehr, soviel ich weiß. Es wird die … Moral der anderen Neger stärken.«
Lua stand reglos an der Wand neben der Tür und versuchte, sich unsichtbar zu machen. Sonst käme die Sinhazinha noch auf
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