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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Ausnahmsweise mussten sie sich, nachdem alles vorbereitet war, selbst bedienen: Auch die Haussklaven mussten im Hof stehen und die schändliche Bestrafung verfolgen.
    Von Zé sahen sie nur die entblößte, schweißnasse Rückseite. Sein Gesicht war dem Pranger zugewandt. Seine Haltung drückte grenzenlosen Stolz aus, von Reue keine Spur. Lua beobachtete manch eine Frau, die den göttlichen Körper lüstern anglotzte und vielleicht mit Bedauern daran dachte, wie er in Kürze aussähe: das schwarze, harte Fleisch in Fetzen, die makellos glatte und weder von Narben noch von Ausschlag entstellte Haut von blutenden Striemen übersät, die herrlichen Muskeln in Todesqualen zuckend. Denn dass Zé sterben würde, stand für alle fest. 50 Peitschenhiebe gingen weit über das hinaus, was ein normaler Sterblicher ertragen konnte, erst recht, wenn sie von António verabreicht wurden. António war der Stallknecht, mit dem Zé sich an seinem ersten Tag angelegt hatte. Und selbst ohne Rachegelüste war António ein grausamer Mensch.
    Lua schloss die Augen und begann zu beten, als sich plötzlich Dom Felipe an der Verandabrüstung postierte und das Spektakel ankündigte.
    »Keiner von uns will dieser Bestrafung beiwohnen. Aber es ist unerlässlich, uns in Erinnerung zu rufen, dass böse Handlungen auch böse Strafen nach sich ziehen. Dieser Mann hat unsere Scheune angezündet. Er hat damit unser aller Leben gefährdet, auch das eure. Wollt ihr Mitleid mit so einem Verbrecher haben? Nein. Wollt ihr ihn mit einer milderen Strafe davonkommen lassen, damit er als Nächstes die Senzala in Brand steckt? Nein. Er ist nicht mal einer von euch. Er kam neu hierher, und anstatt sich bei seinem Schöpfer auf Knien dafür zu bedanken, dass er es auf São Fidélio so gut getroffen hat, versündigt er sich gegen uns alle. Möge der Herr im Himmel nun über sein weiteres Schicksal bestimmen.« Damit gab er António ein Handzeichen. Die Auspeitschung konnte beginnen.
    Der erste Hieb war von solcher Wucht, dass die Haut auf den Schulterblättern aufplatzte. Zé zuckte zusammen, behielt aber seine Haltung bei. Er gab keinen Laut von sich. Dadurch erzürnte er António erst recht, der bei den folgenden Schlägen all seine Kraft aufwendete, um dem Gefangenen den größten Schaden zuzufügen. Manche der Sklaven wandten den Blick angewidert ab. Viele aber waren von der schaurigen Vorführung gefesselt, ja sogar erregt. Bei manch einem nahm Lua glasige Augen oder einen beschleunigten Atem wahr, was beinahe noch ekelerregender war als die unnötige Grausamkeit Antónios.
    Nach 20 Peitschenhieben stand Zé noch, doch seine Beine begannen allmählich nachzugeben.
    Nach 30 Hieben hing er schlaff in den Seilen, die ihn aufrecht hielten.
    Nach 40 Hieben hatte er noch immer keinen Mucks von sich gegeben – und es stand zu befürchten, dass er dies niemals wieder tun würde.
    Nach fünfzig Hieben hielten ihn alle für tot. Seine Rückseite war, vom Nacken bis zu den Fesseln, ein einziger roter Brei. Einige Kinder und Frauen weinten, zwei waren sogar in Ohnmacht gefallen. Dom Felipe hieß António aufhören. Dann wandte er sich wieder an die Sklaven. »Es war eine zwar scheußliche, aber nichtsdestoweniger notwendige Prozedur. Ich hoffe, ihr erinnert euch daran, wenn ihr wieder kindische Pläne ausheckt. Und nun«, damit wandte er sich an zwei Gehilfen Antónios, »bindet den Leichnam los. Der Herrgott hat ihn zu sich gerufen, und wir werden ihm ein würdiges Begräbnis geben.«
    Ein »würdiges Begräbnis« bedeutete, dass man ihn auf dem Sklavenfriedhof verscharren würde – ohne Sarg und ohne Gedenkstein oder -kreuz. Der Padre würde ein paar Gebete herunterleiern und den Anwesenden strenge Ermahnungen mit auf den Weg geben. Die Sklaven würden die kleine Trauergemeinde bilden, die gleich im Anschluss wieder an die Arbeit gehen musste.
    Lua spürte erst jetzt, dass ihre Wangen feucht waren. Sie wartete, bis die Familie Oliveira im Haus verschwunden war, um dann zu dem leblosen Körper zu gehen und ihn ein letztes Mal zu betrachten. Maria Segunda und eine andere Feldsklavin waren ebenfalls dort. »Überlasst ihn uns«, sagte Maria Segunda zu einem der Männer, die ihn abgebunden hatten, »wir werden ihn waschen und für die Bestattung herrichten.«
    Die Männer waren heilfroh, den Fleischklumpen zu ihren Füßen nicht länger ansehen zu müssen, und trollten sich. Lua und die anderen beiden Frauen knieten sich neben Zés Körper und beteten. Gabriela rollte

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