Das Lied des Kolibris
meinen ersten portugiesischen Satz vor mich hin:
Meu nome é Imaculada.
»So, und nun geh an deinen Platz. Die anderen werden dich nicht mehr belästigen. Bereite dir etwas zu essen zu und leg dich schlafen. Du wirst morgen alle Kraft brauchen.«
Ich war ein wenig betrübt darüber, dass sie mich so schroff fortschickte. Eine Menge Fragen harrten noch einer Antwort. Doch ich wusste, dass es klüger war, ihrer Aufforderung Folge zu leisten.
»Danke, Samba«, verabschiedete ich mich.
Im Fortgehen hörte ich sie gereizt schnauben.
8
I n allerletzter Sekunde ließ Lua das Heft und den Stift in ihrer Schürze verschwinden. Sie war so in Imaculadas Geschichte versunken gewesen, dass sie die sich nähernden Schritte erst spät hörte. Imaculada war sicher wachsamer als Lua, doch in ihrem Alter hörte sie wohl nicht mehr allzu gut. Betreten schauten sie auf, als die Person um die Ecke bog – und ließen hörbar die Luft aus ihren Lungen entweichen, als sie feststellten, dass es Maria Segunda war.
»Hast du ihn gesehen? Ist Zeca gesund? Und was hat er dir geantwortet?«
Imaculada drückte ihre Zigarre auf den Stufen aus und steckte den Stummel in ihre Rocktasche. Dann stand sie auf und entfernte sich ohne ein Abschiedswort.
»Merkwürdige Alte«, sagte Lua.
»Ja, sie mag uns merkwürdig vorkommen. Aber sie ist eine sehr kluge und mutige Frau.«
»Na ja«, gab Lua der anderen gegenüber ihr Desinteresse zum Ausdruck.
»Nun sag schon: Wie lautete die Antwort, die du mir übermitteln sollst?«, drängte Maria Segunda.
»Mwe …«, begann Lua. »Mein Gott, ich kriege es nicht mehr zusammen. Es fing mit Mwe an.« Sie war über sich selbst erstaunt. Es bereitete ihr sonst nie Schwierigkeiten, sich Wörter oder Verse einzuprägen. Selbst Zitate in fremden Sprachen, die die Senhora manchmal fallenließ, konnte Lua sich auf Anhieb merken, wenngleich sie sie meist nicht verstand. Dass ihr nun ausgerechnet der Losungssatz entfallen war, war ihr peinlich. Aber Maria Segunda schien sich nicht daran zu stören. Sie nickte freudig erregt.
»Sagte er: ›Mwenyu u fwa we‹?«
»Ja, richtig, das war es!«
»Danke, Lua«, presste sie heraus. Es war ihr deutlich anzumerken, wie sehr es ihr missfiel, in Luas Schuld zu stehen. »Und nun sag: Wie sah Zeca aus? Was hat er gesagt? Hast du ihm ein wenig Proviant bringen können?«
Obwohl sie Maria Segunda nicht leiden konnte, brachte Lua es nicht über sich, ihr das zerschlagene Gesicht ihres Liebsten zu beschreiben oder sein klägliches Wimmern.
»Es war sehr dunkel dort unten, so dass ich ihn kaum erkennen konnte. Aber ich hatte den Eindruck, dass er einigermaßen wohlauf ist. Und ja: Ich habe in einer Speisekammer jede Menge Leckereien stibitzt, die ich den Gefangenen gegeben habe. Die dürften ein paar Tage reichen. Sobald ich mich wieder davonstehlen kann, werde ich versuchen, noch einmal in den Keller zu kommen.«
Die Augen der Feldsklavin wurden feucht, doch ihr Ton war barsch, als sie sagte: »Gib mir rechtzeitig Bescheid. Ich habe etwas für Zeca, das du ihm bringen musst.«
»Ich muss überhaupt nichts«, erwiderte Lua im selben Tonfall und wandte sich von ihr ab.
Sie war erschöpft und wünschte sich nichts sehnlicher als ein wenig Ruhe. Ruhe aber war etwas, das man auf einer so großen Fazenda, und vor allem in der Senzala, vergeblich suchte. Nie war man wirklich allein, nie ungestört. Mal verlangte ein Kind Luas Aufmerksamkeit, weil es wollte, dass sie seiner Lumpenpuppe aus den Strohhaaren einen Zopf flocht, mal war es eine der Frauen, die sich ihren Kummer von der Seele reden wollte. Manchmal gab es etwas zu feiern, und da konnte man sich schlecht von der feuchtfröhlichen Runde fernhalten, ohne es sich mit allen zu verscherzen, während es dann wieder Abende gab, bei denen alle Trübsal bliesen, etwa bei Todesfällen, und von einem erwarteten, dass man sich der allgemeinen Trauer anschloss, auch wenn man den Verstorbenen kaum gekannt, geschweige denn gemocht hatte.
Unliebsame Geräusche und Gerüche ließen sich einfacher ignorieren als Stimmungen. Den furzenden Greis, das kreischende Kind oder die stöhnenden Liebenden, die hörte man irgendwann gar nicht mehr, genauso wenig wie man die Ausdünstungen alter Weiber oder die von Dendê-Öl geschwängerte Luft noch roch. Die Sinneswahrnehmungen der Sklaven waren wahrscheinlich abgestumpft von allzu vielen überwältigenden Eindrücken. Aber das feine Gespür für den kleinsten Stimmungsumschwung ließ sich
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