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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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vordringen zu lassen. Erstmals spürte Lua etwas von der Macht, die sie über die Senhores haben könnten, wären sie nur immer eine so verschworene Gemeinschaft. Vielleicht war es diese Stärke in ihnen, von der man die rebellischen jungen Männer manchmal reden hörte. Bisher hatte Lua sich nie etwas darunter vorstellen können.
    Zé ging es indes nur unwesentlich besser. Er lebte noch, das schon, aber er wälzte sich weiterhin in furchtbaren Fieberkrämpfen. Damit er nicht verdurstete, flößten sie ihm tröpfchenweise Kokoswasser ein. Sie wuschen und befächelten ihn, sie wechselten die Verbände und legten ihm neue Wickel mit der Honig-Kräuter-Paste an, die erstaunlich wenig Schaden anrichtete. Tatsächlich schienen die Wunden sich gut zu schließen.
    Am vierten Tag nach der Auspeitschung erschien Dona Ines in der Senzala.
    Sie kam sonst eigentlich nie hierher, in ihrem ganzen Leben hatte Lua sie höchstens vier- oder fünfmal in ihrer Unterkunft gesehen. Sie schotteten das Krankenlager mit Tüchern ab und setzten betont gelangweilte Gesichter auf.
    »Irgendetwas ist doch im Busch«, sagte Dona Ines und schaute sich neugierig um. Sie konnte den Abscheu in ihrer Miene kaum verbergen, obwohl sie es versuchte. Die primitive Senzala, in der die Sklaven kaum besser untergebracht waren als die Tiere in den Ställen und in der es auch nur unwesentlich besser roch, war Welten von den luftigen, hellen Räumen in der Casa Grande entfernt. »Du«, damit packte sie Lua am Ärmel, »du heckst doch irgendetwas aus. Du und alle anderen. Seit Tagen benehmt ihr Haussklaven euch merkwürdig. Lua hat Ringe unter den Augen, Maria gähnt den ganzen Tag lang, und Lulu lässt alle naslang etwas hinunterfallen. Schlaft ihr denn nie? Was treibt ihr hier?« Sie ließ den Blick in die Runde schweifen, bis er wieder auf Lua haften blieb. Natürlich. Immer musste sie Rede und Antwort stehen, weil die Weißen glaubten, Lua sei die Verständigste und am wenigsten Durchtriebene der Sklaven.
    »Gar nichts, Dona Sinhá«, beteuerte Lua. »Wir machen gar nichts Besonderes. Wir sind nur alle noch ein wenig … verstört nach dieser schlimmen Auspeitschung.«
    »Du lügst. Ich weiß, dass du lügst. Und ich werde herausfinden, was hier los ist.« Sie hielt einen Moment inne, um nachzudenken, dann forderte sie Lua auf: »Zeig mir mal deinen Platz, Lua.«
    Die junge Sklavin führte die Senhora zu ihrer Hängematte, wo sie Luas Siebensachen inspizierte. Danach wünschte sie auch die Plätze der anderen zu sehen, jeden einzelnen. Als sie beinahe die ganze große Senzala abgesucht hatte, nach was auch immer, fragte sie plötzlich: »Und was befindet sich hinter diesen Tüchern?«
    »Das ist das Krankenlager«, beeilte Tia Jacobina sich zu sagen. Lua atmete auf. Tia Jacobinas Wort hatte bei der Herrschaft mehr Gewicht als das jedes anderen Sklaven. »Da liegen meist Kinder mit ansteckendem Husten oder mit Masern.« Sie sagte nicht einmal die Unwahrheit. Allerdings ließ sie die wichtigste Information aus.
    »Soso.« Dona Ines wirkte nicht überzeugt. »Dann wollen wir den lieben Kleinen mal einen Besuch abstatten.«
    »Aber Dona Sinhá«, rief Lua aus, »wenn Ihr Euch nun etwas einfangt?«
    »Du fängst dir auch gleich etwas ein, und zwar eine Backpfeife, wenn du mir noch einmal widersprichst!«, fuhr sie Lua an. Dann schritt sie forsch auf das Krankenlager zu, riss eines der Tücher beiseite und blieb ratlos in dem Durchgang stehen. Man sah ihr an, dass sie einen Augenblick brauchte, bis sie die Lage erkannt und in ihrer ganzen Tragweite begriffen hatte. Obwohl ihr Zés Gesicht nicht zugewandt war, wusste sie sofort, wer dort auf dem Bauch lag und vom Hals bis zu den Waden mit Verbänden bedeckt war. Sie sog hörbar den Atem ein und hob die Augenbrauen.
    »Wenn das nicht unser Brandstifter ist …«, murmelte sie kopfschüttelnd. »Das überlebt der doch nie.« Dennoch konnte sie kaum verbergen, dass ihr der Überlebenswille dieses Mannes Respekt abnötigte.
    Als sie sich umdrehte, um die Sklaven mit tadelnder Miene zu mustern, hörte man es aus Zés Richtung rascheln. Er drehte sich ein wenig auf seiner Strohmatte und hauchte mit matter Stimme: »Ich werde leben. Und ich werde frei sein.«
    Dona Ines zuckte zusammen und vergaß ihre Ansprache, zu der sie gerade ansetzen wollte. Auch die anderen waren wie vom Donner gerührt. Man hätte einen Knopf rollen hören, so still war es plötzlich in der Senzala.
    Lua schlug das Herz heftig in der Brust. Sie

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