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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ihn auf den Rücken, so dass sie in das Gesicht von Zé blicken konnten. Es war zu einer Grimasse verzerrt, aus der Schmerz wie Wut gleichermaßen sprachen. Sie betrachteten es traurig, bis Gabriela ausrief: »Habt ihr das gesehen? Sein Auge hat geblinzelt!«
    »Das ist wie bei einem geköpften Huhn, dessen Körper noch eine Weile rennt. Du glaubst doch nicht etwa, dass der noch lebt?«, sagte Maria Segunda.
    Lua verabscheute sie für ihre Herzlosigkeit, obwohl sie es leider ähnlich sah. Es musste sich um einen Reflex handeln. Andererseits fand sie, dass man dies durchaus nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Sie griff nach dem Handgelenk des Ärmsten und versuchte, einen Puls zu finden. »Hm, ich fühle keinen Puls mehr. Aber vielleicht …« Sie stand auf. Ihr war etwas eingefallen, das sie einmal in einem Buch gelesen hatte. Einen Versuch war es wert. »Wartet hier auf mich, ich bin gleich wieder da.« Damit rannte Lua zur Senzala. Dort kramte sie in ihren Habseligkeiten, bis sie die Spiegelscherbe gefunden hatte, und eilte sofort wieder zurück.
    »Hier, das muss man ihm ganz nah vor den Mund halten. Wenn es beschlägt, bedeutet das, dass er noch atmet. Und wenn er noch atmet, dann kann man ihn vielleicht noch retten.«
    Die beiden anderen Frauen bedachten sie mit mitleidigen Blicken.
    »Vergiss es«, sagte Maria Segunda, »er ist mausetot.«
    »Wenn dem so sein sollte, dann nur, weil dein Zeca sein dummes Maul nicht halten konnte!«, entfuhr es Lua. Ihr entging die Reaktion der anderen darauf, weil sie nun voll Spannung den kleinen Spiegel vor Zés Mund hielt und darauf achtete, ob er beschlug. Und tatsächlich: Ein kaum sichtbarer feiner Nebel legte sich auf die glänzende Oberfläche.
    »Er lebt!«, rief Lua. »Er atmet noch!«
    »Mag ja sein«, kam es lakonisch von Maria Segunda, »aber er stirbt.«
    Lua war außer sich vor Zorn angesichts dieser Teilnahmslosigkeit und Gefühlskälte. »Du bist mir und Zé schuldig, dass du alles versuchst, um sein Leben zu retten. Also hilf mir gefälligst. Und du«, sagte sie an Gabriela gewandt, »packst auch mit an. Wir schaffen ihn in die Krankenecke der Senzala.«
    Lua hatte sehr energisch und entschlossen geklungen, denn beide halfen ihr, ohne weitere Widerworte zu wagen. Allerdings verzogen sie unwillig ihre Gesichter.
    Die Leichenträger glotzten ihnen ungläubig nach, als sie den reglosen, großen, schweren Männerkörper über den Hof in die Senzala schleppten. Dort legten sie ihn bäuchlings auf eine Strohmatte und versuchten, das Blut abzutupfen. Es war ein beinah unmögliches Unterfangen, da Blut, Haut und Muskelfleisch zu einer einzigen klebrigen Masse geworden waren.
    »Was der jetzt braucht, ist ein Wunder«, unkte Maria Segunda.
    Und was du brauchst, ist eine Tracht Prügel, dachte Lua, sprach es aber nicht aus. Stattdessen sagte sie: »Los, lauf, such Imaculada. Vielleicht hat die alte Hexe irgendein Wundermittel zur Hand.«
    Lua befestigte ein paar Stoffbahnen rund um das Krankenlager, um Zé vor allzu neugierigen Blicken zu schützen. Die Nachricht von seinem Überleben hatte sich in Windeseile herumgesprochen, und nun, da der sonntägliche Gottesdienst beendet war, wollte jeder sich mit eigenen Augen von dem Wunder überzeugen. Lua konnte es niemandem verdenken, dennoch verspürte sie den Impuls, die Leute von Zé fernzuhalten.
Sie
hatte erkannt, dass er noch lebte, und er war
ihr
Schützling.
    Als Maria Segunda mit Imaculada im Schlepptau zurückkam, hatten Gabriela und Lua bereits so viel Blut von dem geschundenen Körper abgetupft, dass man darunter die eigentlichen Wunden erkennen konnte. Das Ausmaß der Verletzungen rief selbst auf Imaculadas sonst so versteinertem Gesicht eine Regung hervor, wenngleich nur für einen winzigen Moment. Dann sah sie wieder aus wie stets und sagte barsch: »Mbómbo wollen leben. Du«, dabei sah sie Maria Segunda an, »holen meine Korb.« Alle wussten, dass damit ein Körbchen gemeint war, das sie an ihrem Platz in der Senzala verwahrte und aus dem ein merkwürdiger Geruch quoll, über den sich ihre Nachbarn schon häufig beschwert hatten. »Du«, hiermit war Gabriela gemeint, »bringen sauber Tuch. Und du«, jetzt war die Reihe an Lua, »holen Honig und Schnaps aus Casa Grande.«
    Lua lief sofort los. Sie wusste, wo beides zu finden war, aber es vor den Augen ihrer Herrschaft beziehungsweise der Köchin einfach zu nehmen, wäre kein leichtes Unterfangen. Auf dem Weg ins Herrenhaus überlegte sie sich eine

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