Das Lied des Kolibris
war unendlich erleichtert, dass Zé wieder das Bewusstsein erlangt hatte und ihre Bemühungen anscheinend nicht vergeblich gewesen waren. Zugleich hatte sie große Angst vor dem, was ihnen und Zé blühen würde.
Und dann schickte Zé noch einen Satz hinterher, mit etwas kräftigerer Stimme, so dass auch Dona Ines ihn noch hören konnte: »Ich werde in Freiheit leben!«
10
M
eu nome é Imaculada, meu nome é Imaculada
, sagte ich im Geiste immer wieder vor mich hin, obwohl etwas in mir schrie: »Nein! Mein Name ist Kasinda!«
Als wir uns am Morgen aufstellen und auf eine Frage antworten mussten, die ich nicht verstand, sagte ich jedoch: »Mein Name ist Imaculada.« Der schwarze Vorarbeiter, dem ich diese Antwort gegeben hatte, grinste breit. »Sehr schön«, dürfte er gesagt haben, »da nehmt euch alle mal ein Beispiel dran.«
Zusammen mit zwei anderen Neuankömmlingen sowie rund zehn der schon länger hier gefangenen Frauen musste ich mich in einer Reihe aufstellen. Wir wurden an dem jeweils rechten Fuß an eine lange Kette gefesselt, an der man uns auf einen Acker schleppte. Dort wies man uns an, ein hohes, karges Gestrüpp mitsamt seinen Wurzeln aus dem Boden zu ziehen. Diese Wurzeln, so lernte ich, nannte man Maniok. Ich knabberte an einer davon, nachdem ich sie von Erdresten befreit hatte, konnte jedoch nichts Schmackhaftes daran finden. Eine der Frauen, die schon länger in Gefangenschaft war, schlug mir die Knolle aus den Händen und gab mir durch Gesten zu verstehen, dass sie giftig sei.
Auf demselben Acker wuchs noch eine andere Pflanze, die fast genauso aussah wie Maniok. Diese nannte man Aipim. Sie hatte ebenfalls einen mehr als mannshohen verzweigten Stiel, an dem ein paar dürftige Blätter hingen, und wurde für ihre Wurzel geschätzt, eine längliche, große, schwere Knolle mit schwarzer Schale. Diesmal kostete ich nicht davon.
Später lernte ich, dass Maniok vor allem zur Gewinnung von Mehl und Tapioka, einem Stärkebrei, genutzt wurde, während Aipim, einmal geschält, als ganze Frucht genossen werden konnte, sei es gekocht, in Fett ausgebacken oder zu Püree verarbeitet. Ich wurde im Laufe der Jahre, von denen ich viele in der
casa da farinha
, im »Mehlhaus«, verbrachte, zu einer großen Kennerin – und Liebhaberin – aller Formen von Maniokmehl und Tapioka, die wir dort durch Auspressen und Trocknen der Wurzeln erzeugten. Meine
beijús
, Pfannkuchen aus dem frischen, breiigen Tapioka, waren die begehrtesten in ganz Bahia, und mein Aipim-Kuchen suchte ebenfalls seinesgleichen.
Anfangs jedoch konnte ich den beiden Gewächsen nicht viel abgewinnen, was vor allem mit der Ernte zu tun hatte. Ich begriff nicht, warum wir Frauen den ganzen Tag diese Wurzeln ausreißen sollten. Schon nach kurzer Zeit hatten wir genug zusammen, um alle Leute in der Sklavenunterkunft davon satt zu bekommen, doch die Aufseher ließen uns immer weiter schuften. Wer nicht schnell genug war oder sich eine Ruhepause gönnte, wurde mit der Peitsche zum Weiterarbeiten angetrieben. Das alles geschah in der prallen, heißen Sonne. War Schatten schon rar, so war Trinkwasser es erst recht. Man gab uns nach mehrstündiger Arbeit eine Kelle voll aus einem Fass, das der Aufseher dabeihatte. Es war reine Schikane. Denn anders als in meiner Heimat herrschte in Brasilien kein Mangel an Wasser, und auch das Fässchen hätte es jeder von uns erlaubt, drei bis vier Kellen voll zu trinken. Der Aufseher aber genoss es, uns zu quälen. Nachdem wir einen Schluck getrunken hatten, kippte er den Rest einfach ins Unterholz, wo es so langsam versickerte, dass sein Pferd sich noch daran laben konnte.
Am frühen Nachmittag, kurz bevor unser Arbeitstag zu Ende ging, hörten wir plötzlich einen Schrei von einer der Gefangenen. Sie hatte eine Schlange aufgeschreckt und wusste nicht, wie sie sich vor ihr in Sicherheit bringen sollte, solange sie durch die Kette mit uns anderen Frauen verbunden war. Der Aufseher ritt herbei, doch sein Pferd scheute, als es das riesige Reptil sah. Beinahe hätte ich gelacht, ich verkniff es mir jedoch rechtzeitig. Die verängstigte Frau und die Schlange befanden sich nicht weit von mir, nur eine weitere Gefangene war zwischen uns angekettet. Also hatte ich genügend Bewegungsfreiheit, um zu der Schlange zu gelangen und sie zu töten. Ich wunderte mich über die Hilflosigkeit dieser Frau. War sie denn keine Afrikanerin? Was hatte man sie gelehrt, wenn sie nicht einmal mit einem Kriechtier fertig wurde? Zwar
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