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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wahrscheinlich sofort einem Verhör unterzogen und ihre Mithilfe bei Zés Flucht als unumstößliche Tatsache angenommen. Ganz gleich, wie stark ihre Neugier sie piesacken mochte, sie würde niemals zu Imaculada gehen und sie danach aushorchen – zumal die Alte ihr ohnehin nichts verraten hätte.
    Imaculada indes beobachtete Lua scharf. War dem Mädchen zu trauen? Würde sie sich nun, da sie ihr einen unfehlbaren Fluchtplan präsentieren wollte, als die erweisen, für die Imaculada sie hielt? Oder würde sie kapitulieren angesichts der Schikanen der Weißen? War sie doch schon zu verweichlicht, um das Wagnis einzugehen? Vielleicht benötigte sie nur einen sehr starken Impuls, um endlich zu handeln, endlich das Richtige zu tun. Und würde sie, Kasinda, noch Kräfte genug mobilisieren können, um eine Intrige einzufädeln, die diesen Impuls auslöste?
    Auch in der Casa Grande hatte man die Flucht eines wertvollen Sklaven, eines jungen Mannes, der in Saft und Kraft stand, keineswegs vergessen. Mochte die Jagd nach ihm bisher auch erfolglos gewesen sein – irgendwann würde man ihn schnappen. Die jüngere Geschichte Bahias zeigte, dass neun von zehn entlaufenen Negern wieder aufgestöbert wurden. Früher oder später verrieten die Kerle sich, sei es durch Geprahle oder sei es durch Verarmung. Wenn es ihnen gelang, sich durchzuschlagen und auf wundersame Art und Weise zu Geld zu gelangen, dann waren sie meist so stolz auf ihre Leistung, dass sie leichtsinnig wurden. Sie predigten die Freiheit und scharten Anhänger um sich – bis sie, manchmal noch Jahre nach ihrer Flucht, aufflogen. Die überwiegende Mehrheit der entflohenen Sklaven jedoch schaffte es einfach nicht, in der Freiheit zu bestehen. Sie hausten in den Wäldern, bis Hunger oder Vereinsamung sie wieder in die Städte trieb, wo sie sofort die Aufmerksamkeit auf sich zogen und in Gewahrsam genommen wurden, bis ihr Besitzer ermittelt war.
    Dom Felipe hatte mittlerweile sämtliche Großgrundbesitzer der Provinz benachrichtigt. Eine genaue Beschreibung Zés war an alle Gendarmerien herausgegeben worden, und dank der hohen Belohnung, die auf die Ergreifung des entlaufenen Sklaven ausgesetzt war, befanden sich zahlreiche Kopfgeldjäger auf der Suche nach ihm. Und diese waren ungleich besser ausgerüstet als Zé. Sie hatten Pferde und Bluthunde, sie hatten Waffen, und sie führten Zelte mit sich. Ihre Satteltaschen waren prall gefüllt mit nützlichen Utensilien: mit Angelschnüren und Messern, mit Schnaps zur Desinfektion von Wunden und zum Trost für die Seele, mit Kerzen sowie mit Spiegeln und Glasperlen, die man den Indios als Bestechungslohn zukommen lassen konnte.
    Die Höhe des Kopfgeldes hatte im Hause Oliveira heftige Diskussionen ausgelöst. Warum überhaupt ein Kopfgeld?, hatte Manuel wissen wollen, der Kerl sei doch ein Geschenk gewesen, und die Fazenda sei ohnehin besser dran ohne ihn, den Unruhestifter. Warum ihn einfach laufenlassen?, hatte Eulália aufbegehrt, er sei immerhin ihr Verlobungsgeschenk, und sie habe ein Recht darauf, ihn zurückzubekommen. Warum eine wertvolle Handelsware einfach so aufgeben?, stimmten Dona Ines und Dom Felipe überein, sobald er eingefangen worden sei, würde man ihn zum Sklavenmarkt am Pelourinho bringen und ein ordentliches Sümmchen einstreichen, ohne indes den neuen Besitzer wissen zu lassen, was für eine verdorbene Frucht er sich da eingehandelt hatte.
    In der Senzala war in den ersten Tagen nach Zés Flucht von nichts anderem die Rede gewesen. Man zerbrach sich den Kopf darüber, wie er es angestellt hatte, dass nicht einmal die Hunde ihn hatten aufspüren können. Es kursierten die abenteuerlichsten Theorien, Zauberkraft unterstellten Zé die einen, eine Geliebte von hoher Abstammung die anderen. Manch einer ging sogar so weit, Zé übler Verbrüderungen mit Sklavenhändlern zu verdächtigen, die ihn als freien Treiber oder Aufpasser beschäftigen wollten. Alle jedoch waren sich darüber einig, dass Imaculada ihre Finger mit im Spiel haben musste. Die Alte brabbelte unaufhörlich Beschwörungsformeln vor sich hin, zerbröselte dabei Erde oder entzündete winzige Flämmchen, deren Rauch sie mit Hühnerfedern nach Norden wedelte. Sie tat Dinge, die von ausnahmslos allen anderen Sklaven auf São Fidélio als beängstigend und unchristlich empfunden wurden, so dass der eine oder andere diese unaussprechlichen Dinge schließlich doch aussprach, und zwar bei der Beichte.
    Der Padre war es gewohnt, wirres Zeug von

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