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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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tun. Vielleicht erschien er ihnen nicht schmackhaft genug, und sie wollten ihn erst noch ein wenig mästen, bevor sie ihn schlachteten? Denn zu essen gaben sie ihm reichlich. Es waren merkwürdig schmeckende Gerichte, die sie zubereiteten, und manches davon vermochte Mbómbo nur mit angehaltenem Atem herunterzuwürgen, etwa die Insektenlarven oder die Termiten.
    Es war überhaupt erstaunlich, wie die Indios sich die Ressourcen des Urwaldes zunutze machten. Mbómbo beobachtete alles ganz genau, um davon zu lernen. Da man ihn in der kleinen Siedlung frei herumlaufen ließ – vollkommen überzeugt davon, dass er eine Flucht weder wagen noch überleben würde, was er übrigens selbst auch glaubte – und ihn als eine Art Monstrosität für die Kinder und Frauen zur Schau stellte, hatte er oft Gelegenheit, den Leuten bei häuslichen Verrichtungen zuzusehen. Sie lachten immer, wenn er sich zu ihnen gesellte und ihnen zuschaute, doch sie ließen ihn gewähren.
    So lernte Mbómbo etwa, dass Termiten nicht nur den Speiseplan bereicherten, sondern auch als medizinisches Werkzeug, nämlich als Wundklammer, eingesetzt wurden. Ein kleiner Junge hatte sich bei einem Sturz eine klaffende Wunde am Bein zugezogen. Deren Ränder presste man fest zusammen, setzte dann nacheinander die Termiten darauf, hielt sie am Hinterteil fest, damit sie sich vor Panik in das Fleisch verbissen, und drehte schließlich den Hinterleib ab. Die Beißwerkzeuge der großen Insekten schlossen die Wunde besser, als es jeder Faden vermocht hätte.
    Er lernte ferner, dass auch Spinnennetze zur Heilung dienten, denn diese gebrauchte man als Verband. Vorsichtig wurde das filigrane Gebilde von einem Ast gelöst, wobei manchmal mehrere Frauen mithelfen mussten, damit das Netz nicht zerstört wurde, und dann auf großflächige Wunden gelegt, etwa Verbrennungen. Die Beschaffenheit des Spinnennetzes, das sowohl leicht und luftdurchlässig als auch zugleich enorm elastisch und haltbar war, übertraf die Qualitäten einer Mullbinde um ein Vielfaches.
    Faszinierend waren auch die Waffen der Männer. Sie benutzten meist Pfeil und Bogen, wenn sie Nahrung beschaffen wollten. Wollten sie einen Feind stellen, sei es nun einen Eindringling wie ihn, Mbómbo, oder aber einen verletzten und darum gefährlichen Jaguar, dann präparierten sie die Pfeilspitzen mit einem Gift, das sie aus verschiedenen Pflanzen sowie aus der Haut von winzigen Fröschen gewannen. Auch in Blasrohren kamen Giftpfeile zum Einsatz, und niemals hätte Mbómbo geglaubt, dass ein kleines Tröpfchen des Froschgiftes ausreichte, um eine große Raubkatze in Sekundenschnelle zu töten. Das aber genau war es, was ihm die Männer erklärten – mit eigenen Augen gesehen hatte er es allerdings nicht, denn zur Jagd nahmen sie ihn nicht mit.
    Auch im Fischfang kamen Pflanzengifte zum Einsatz: Die Fische wurden betäubt und tauchten dann an der Oberfläche des Gewässers auf, wo man sie lediglich abfischen musste. Dabei war die Methode nur nötig, wenn sehr große Mengen Fisch benötigt wurden. Normalerweise erlegte man Fische mit Pfeil und Bogen. Selbst kleine Jungen, nicht älter als sechs oder sieben Jahre, beherrschten diese Kunst vortrefflich.
    Eines Tages, als Mbómbo den Stamm so gut zu kennen glaubte, dass er sich solche Freiheiten herausnehmen durfte, bat er um eine Unterredung mit dem Häuptling. Dieser hieß Apoenã und wirkte wie ein verständiger Mann, obwohl auch er unter gelegentlichen albernen Attacken litt, etwa wenn er seinen »Gast« Bombom nannte und sich darüber halb totlachte.
    »Häuptling Apoenã«, begann Mbómbo seine Rede, »ihr habt mich hier aufgenommen wie einen Freund, habt euer Essen mit mir geteilt wie mit einem Bruder.« Er hielt kurz inne und hoffte, an dem Gesichtsausdruck seines Gegenübers zu erkennen, ob er den richtigen Ton getroffen hatte. Doch die Miene Apoenãs war undurchdringlich. »Ich möchte mich gerne erkenntlich zeigen. Lasst mich mit euch jagen, oder lasst mich mit den Frauen Maniok ernten, das habe ich mein halbes Leben lang getan. Ich bin auch sehr geschickt im Flechten von Palmblättern zu Körben oder Hüten.«
    Auf dem versteinerten Gesicht des Häuptlings zeigte sich der Anflug eines Lächelns.
    Ermutigt fuhr Mbómbo fort: »Zur Not würde ich auch Hühner füttern oder Wäsche waschen …«
    Mit dem schallenden Gelächter, das nun folgte, hatte Mbómbo nicht gerechnet.
    »Frauenarbeit!«, rief der Häuptling und lachte Tränen. »Du bist groß und

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