Das Lied des Kolibris
Auftreten, mit schlaksigem Gang und allzu greller Kleidung. Sie starrten Lua an, als handele es sich um eine übersinnliche Erscheinung, und sie starrte zurück – allerdings eher so, befürchtete sie, wie ein verschreckter Hase eine Schlange anglotzen würde, unfähig zu einer anderen Reaktion.
»Soso, ein neues Gesicht im Pelourinho«, sagte der Anführer der Gruppe betont gelangweilt.
»Eher ein neuer Körper«, verbesserte ein anderer. »Sieht gar nicht mal so übel aus.«
»Nein, nein, Ihr täuscht Euch«, stammelte Lua und rannte fort, verfolgt von dem höhnischen Gelächter der ungehobelten Burschen. Am Eingang einer Kirche hielt sie keuchend an. Oje, in welchen Schlamassel war sie da geraten? In diesem Viertel konnte sie auf keinen Fall bleiben, aber an eine Rückkehr nach Hause war schon gar nicht zu denken. Ob man ihr in der Kirche weiterhalf? Sie drückte den Griff und stemmte sich gegen die riesige Holztür, doch sie schien verschlossen zu sein. Vorsichtig schlich Lua um das Gebäude herum, in der Hoffnung, irgendwo einen Padre oder wenigstens einen Küster aufzutreiben, der ihr helfen konnte. Vielleicht gab es ja sogar ein Nonnenkloster, in dem man ihr Obdach gewährte?
Als sie einen unscheinbaren Anbau der Kirche erreichte, sah sie jedoch all ihre Hoffnungen schwinden. Alles war dunkel und wirkte verlassen. Hier war ihr nun noch mulmiger zumute als zuvor. Sie beschloss, lieber wieder auf die zwar gefährliche, aber wenigstens belebte Straße zu gehen. Sie lugte vorsichtig um die Ecke, um zu sehen, ob sich üble Gestalten näherten. Nach einem kurzen Moment, in dem sie ihren Mut sammeln musste, erschien es ihr sicher genug, sich aus dem Schatten der Wand hervorzuwagen – und sie lief schnurstracks in die Arme zweier Wachtmeister, die gerade um eine Kurve gebogen kamen.
»Nanu, wen haben wir denn da?«, fragte der eine und starrte auf Luas nackte Füße. »Etwa eine entflohene Sklavin?«
»Nein, Sinhô, wo denkt Ihr hin?«, rief Lua in gespielter Empörung. Sie war froh über ihre Geistesgegenwart. »Die Sinhá Dona Isabel hat mich losgeschickt, um den Doutor Azevedo zu rufen.« Einen Doktor Azevedo, das wusste Lua, gab es irgendwo in der Stadt. Und eine Dona Isabel musste es ebenfalls geben, es war ein sehr geläufiger Name.
»Und was treibst du dann in dieser dunklen Gasse?«, fragte der zweite Polizist, sichtlich skeptisch.
»Ich habe mich verirrt. Und dann wurde es plötzlich dunkel, und dann kamen lauter merkwürdige Kerle, und dann …«, hier gelang Lua ein aufrichtiger Schluchzer, denn abgesehen von dem Anlass ihres Hierseins entsprach ja alles der Wahrheit, »… und dann wollte ich in der Kirche Schutz suchen, aber es war alles verschlossen.« Nun liefen ihr die Tränen übers Gesicht.
»Hast du überhaupt einen Passierschein?«
Ein Passierschein! Lua hätte sich ohrfeigen mögen, dass sie daran nicht gedacht hatte. Sie hätte sich ja leicht selbst einen ausstellen können, denn sie bezweifelte, dass die beiden Männer besonders gut lesen konnten und es merken würden, wenn sie ein gefälschtes Dokument vorlegte. »Nein«, heulte sie auf, »es war so eilig, weil die Sinhá Dona Isabel ganz plötzlich umfiel und wir alle einen riesigen Schrecken bekamen und keiner an den Passierschein gedacht hat.«
»Soso.« Der zweite Wachtmeister starrte Lua durchdringend an. Glaubte er ihr nicht?
Luas Herz klopfte so heftig in ihrer Brust, dass sie meinte, die beiden könnten es hüpfen sehen. Verflucht! Wenn man sie nun inhaftierte? Früher oder später gelangte die Nachricht, dass eine Sklavin von São Fidélio geflohen war, auch nach Salvador. Und dann erginge es ihr richtig schlecht. Sie musste sich dringend etwas wirklich Überzeugendes einfallen lassen, damit die beiden sie gehen ließen. Vor lauter Aufregung jedoch plapperte sie hektisch drauflos, so dass mit jedem Wort die Gefahr wuchs, entlarvt zu werden.
»Ja, Sinhô, genauso war es, die Sinhá Dona Isabel wurde plötzlich ganz rot im Gesicht und schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land, und dann zuckte sie so komisch, und dann fiel sie um, und ihr armer Kopf polterte laut auf dem schönen glänzenden Parkett, das ich noch gestern mit Fernanda zusammen gebohnert habe und …«
»Schluss!«, wetterte der strengere der beiden Polizisten. »Sag uns, wie du heißt und wer deine Herrschaften sind. Wir begleiten dich zum Doktor – denn der soll doch deine Senhora schnell wieder gesund machen, oder nicht?«
»Ja, Herr Wachtmeister,
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