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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sehr wohl. Verzeiht, ich bin nur ein dummes Sklavenmädchen, aber ich war die Einzige, der man genügend Vertrauen entgegenbringt, um sie allein loszuschicken, denn der Kutscher war zufällig auch gerade unterwegs, so dass ich ganz allein den weiten Weg …«
    »Du hältst jetzt den Mund. Wir bringen dich zum Doutor. Dem kannst du die ganze Geschichte erzählen, wenn du ihn in seiner Kutsche begleitest. Woher kommst du überhaupt?«
    »Von Santa Clara, das liegt …«
    »Wir wissen, wo das liegt. Komm jetzt mit.«
    Lua folgte den beiden Polizisten. Sie war froh, dass ihr so schnell der Name einer großen Fazenda eingefallen war, die näher an der Stadt lag als São Fidélio, so dass ihre Geschichte glaubhafter wirkte. Dennoch durfte sie jetzt nicht in ihrer Aufmerksamkeit und ihrem Erfindungsreichtum nachlassen. Die beiden schienen ihr nun doch zu glauben – und das war ihre einzige Chance, ihnen irgendwann entwischen zu können.
    Das Haus des Arztes lag nicht weit entfernt. Als sie an der Tür standen und die Glocke im Innern läuten hörten, überlegte Lua noch immer fieberhaft, wie sie den Doktor von ihrem hastig erdachten Märchen überzeugen konnte. Doch so weit kam es nicht erst. Ein Passant, ein bärtiger Schrank von einem Mulatten, hielt an und musterte sie von Kopf bis Fuß, wie sie da zwischen den beiden Polizisten stand. Er kannte die Beamten, denn er grüßte sie jovial.
    »Na, wenn das nicht der Luís ist! Lange nicht gesehen, altes Haus! Und du, José, wie geht’s, wie steht’s? Warst schon lange nicht mehr im Roten Salon, was? Kommt doch später mal rüber.«
    »Grüß dich, Paulo. Du hast dich aber auch rar gemacht.«
    »Habe einen entlaufenen Neger gejagt, einen von São Fidélio. Aber den hat’s erwischt, das könnt ihr mir glauben. Wenn er noch leben würde, hätten wir ihn gekriegt.«
    Lua drohte vor Schreck zusammenzusacken, als sie den Namen der heimatlichen Fazenda vernahm.
    »Und wen«, mit einem Kopfnicken deutete der Bärtige auf Lua, »habt ihr denn da? Eine Patientin für den Doktor, ha, ha?«
    »Behauptet, sich verlaufen zu haben«, erwiderte einer der beiden Wachtmeister betont knapp. Er schien sich seiner Hilfsbereitschaft einer jungen Schwarzen gegenüber beinahe zu schämen.
    »Lass dich mal genauer ansehen, Mädchen.« Paulo Barbudo griff unter Luas Kinn und hob ihr Gesicht an. Lua senkte den Blick und betete, dass nun endlich jemand käme, um die Tür zu öffnen. Aber nichts geschah. Der Arzt schien außer Haus zu sein.
    »Wisst ihr was?«, schlug Paulo den beiden Polizisten vor. »Ich glaube, ich kenne die Kleine. Lasst sie in meiner Obhut, dann ergeht’s ihr besser als im Gefängnis.«
    Die beiden sahen einander kurz an und nickten unmerklich. Sie hatten Schulden bei Paulo Barbudo. Und hier bot sich ihnen die einmalige Gelegenheit, ihm einen Gefallen zu erweisen, der sie nichts kostete und ihnen eine große Last von den Schultern nähme. Obwohl die Schuldeneintreiber des Bärtigen bei Polizisten keinen besonderen Nachdruck an den Tag legten, war es ab einer bestimmten Schuldenhöhe doch ein unschönes Gefühl, wenn man seinen Verpflichtungen nicht nachkommen konnte. Und was mit der Negerin geschah, war ihnen ohnehin vollkommen gleichgültig. Im Hurenhaus von Paulos »Ehefrau« wäre sie auch nicht schlechter dran als auf Santa Clara, die als eine der für die Sklaven unangenehmsten Fazendas galt.
    »Na los, setz dich in Bewegung!«, forderte Paulo das Mädchen barsch auf.
    Lua wusste nicht, ob sie gerettet oder vom Regen in die Traufe geraten war. Aber was hätte sie schon tun können? Sie konnte ja schlecht die Polizisten bitten, sie bitte schön nicht in der Obhut eines Sklavenjägers zu lassen, da sie in Wahrheit eine entflohene Sklavin sei. Widerwillig folgte sie Paulo Barbudo, der die beiden Beamten mit einem wortreichen, herzlichen Abschied bedachte.
    Kaum waren sie außer Sichtweite der Polizisten, blieb Paulo stehen.
    »Also, Lua«, sprach er seine Beute an und beobachtete scharf ihre Reaktion darauf.
    Lua, noch zu aufgewühlt von der unglücklichen Folge an Ereignissen, die ihr widerfahren waren, sowie von der Nachricht, dass Zé offenbar entkommen war, machte einen Knicks und stellte sich dumm. »Jawohl, Sinhô?«, antwortete sie – und merkte im selben Augenblick, welcher Fehler ihr unterlaufen war. Der Bärtige konnte ihren Namen ja gar nicht kennen!
    »Du hast die Wahl: Ich kann dich in ein schönes, gepflegtes Hurenhaus bringen, wo du gutes Geld verdienen

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